Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

unfehlbar bedeutend wachsen; es muss aber a von jeder
neu hinzukommenden leiden; und da es vorhin schon
der mechanischen Schwelle nahe war, kann es ohne
Zweifel sehr leicht vollends auf dieselbe getrieben wer-
den, gesetzt auch, dass keine der hinzukommenden stark
genug sey, um a und vielleicht selbst um b auf die sta-
tische
Schwelle zu bringen. Während also jene Reihe
von Vorstellungen noch in ihrem Verlauf begriffen ist,
werden a und b fortwährend auf der mechanischen
Schwelle bleiben; dennoch aber, nachdem die Reihe zu
Ende ist, sehr bald sich von selbst wieder ins Bewusst-
seyn erheben. So etwas ereignet sich zu jeder Stunde
in jedem Menschen, nur nach einem weit vergrösserten
Maassstabe, bey jeder Störung in einem Geschäffte, das
man vergisst, so lange die Störung dauert, und wieder er-
greift, sobald sie beseitigt ist. Das unangenehme Gefühl
der Störung, welches, wenn es heftig ist, im ersten Au-
genblicke gleich den Organismus in Mitleidenschaft zieht,
und dann den Affect des Schrecks erzeugt, -- rührt
her von der Gewalt, womit die zur mechanischen Schwelle
getriebenen Vorstellungen, deren man sich nicht bewusst
ist, sich denen widersetzen, durch welche sie verdrängt
werden. Wirkten die Vorstellungen auf der statischen
Schwelle eben so wie die auf der mechanischen: so würde
der Mensch sein Daseyn nicht aushalten können.


Drittes Capitel.
Von wiedererweckten Vorstellungen, nach der
einfachsten Ansicht.
§. 81.

Kaum bedarf es der Erinnerung, dass das zuletzt be-
trachtete Ereigniss noch von andern wichtigen Folgen be-

unfehlbar bedeutend wachsen; es muſs aber a von jeder
neu hinzukommenden leiden; und da es vorhin schon
der mechanischen Schwelle nahe war, kann es ohne
Zweifel sehr leicht vollends auf dieselbe getrieben wer-
den, gesetzt auch, daſs keine der hinzukommenden stark
genug sey, um a und vielleicht selbst um b auf die sta-
tische
Schwelle zu bringen. Während also jene Reihe
von Vorstellungen noch in ihrem Verlauf begriffen ist,
werden a und b fortwährend auf der mechanischen
Schwelle bleiben; dennoch aber, nachdem die Reihe zu
Ende ist, sehr bald sich von selbst wieder ins Bewuſst-
seyn erheben. So etwas ereignet sich zu jeder Stunde
in jedem Menschen, nur nach einem weit vergröſserten
Maaſsstabe, bey jeder Störung in einem Geschäffte, das
man vergiſst, so lange die Störung dauert, und wieder er-
greift, sobald sie beseitigt ist. Das unangenehme Gefühl
der Störung, welches, wenn es heftig ist, im ersten Au-
genblicke gleich den Organismus in Mitleidenschaft zieht,
und dann den Affect des Schrecks erzeugt, — rührt
her von der Gewalt, womit die zur mechanischen Schwelle
getriebenen Vorstellungen, deren man sich nicht bewuſst
ist, sich denen widersetzen, durch welche sie verdrängt
werden. Wirkten die Vorstellungen auf der statischen
Schwelle eben so wie die auf der mechanischen: so würde
der Mensch sein Daseyn nicht aushalten können.


Drittes Capitel.
Von wiedererweckten Vorstellungen, nach der
einfachsten Ansicht.
§. 81.

Kaum bedarf es der Erinnerung, daſs das zuletzt be-
trachtete Ereigniſs noch von andern wichtigen Folgen be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0288" n="268"/>
unfehlbar bedeutend wachsen; es mu&#x017F;s aber <hi rendition="#i">a</hi> von jeder<lb/>
neu hinzukommenden leiden; und da es vorhin schon<lb/>
der mechanischen Schwelle nahe war, kann es ohne<lb/>
Zweifel sehr leicht vollends auf dieselbe getrieben wer-<lb/>
den, gesetzt auch, da&#x017F;s keine der hinzukommenden stark<lb/>
genug sey, um <hi rendition="#i">a</hi> und vielleicht selbst um <hi rendition="#i">b</hi> auf die <hi rendition="#g">sta-<lb/>
tische</hi> Schwelle zu bringen. Während also jene Reihe<lb/>
von Vorstellungen noch in ihrem Verlauf begriffen ist,<lb/>
werden <hi rendition="#i">a</hi> und <hi rendition="#i">b</hi> fortwährend auf der mechanischen<lb/>
Schwelle bleiben; dennoch aber, nachdem die Reihe zu<lb/>
Ende ist, sehr bald sich von selbst wieder ins Bewu&#x017F;st-<lb/>
seyn erheben. So etwas ereignet sich zu jeder Stunde<lb/>
in jedem Menschen, nur nach einem weit vergrö&#x017F;serten<lb/>
Maa&#x017F;sstabe, bey jeder Störung in einem Geschäffte, das<lb/>
man vergi&#x017F;st, so lange die Störung dauert, und wieder er-<lb/>
greift, sobald sie beseitigt ist. Das unangenehme Gefühl<lb/>
der Störung, welches, wenn es heftig ist, im ersten Au-<lb/>
genblicke gleich den Organismus in Mitleidenschaft zieht,<lb/>
und dann den Affect des <hi rendition="#g">Schrecks</hi> erzeugt, &#x2014; rührt<lb/>
her von der Gewalt, womit die zur mechanischen Schwelle<lb/>
getriebenen Vorstellungen, deren man sich nicht bewu&#x017F;st<lb/>
ist, sich denen widersetzen, durch welche sie verdrängt<lb/>
werden. Wirkten die Vorstellungen auf der statischen<lb/>
Schwelle eben so wie die auf der mechanischen: so würde<lb/>
der Mensch sein Daseyn nicht aushalten können.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Drittes Capitel</hi></hi>.<lb/>
Von wiedererweckten Vorstellungen, nach der<lb/>
einfachsten Ansicht.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 81.</head><lb/>
              <p>Kaum bedarf es der Erinnerung, da&#x017F;s das zuletzt be-<lb/>
trachtete Ereigni&#x017F;s noch von andern wichtigen Folgen be-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0288] unfehlbar bedeutend wachsen; es muſs aber a von jeder neu hinzukommenden leiden; und da es vorhin schon der mechanischen Schwelle nahe war, kann es ohne Zweifel sehr leicht vollends auf dieselbe getrieben wer- den, gesetzt auch, daſs keine der hinzukommenden stark genug sey, um a und vielleicht selbst um b auf die sta- tische Schwelle zu bringen. Während also jene Reihe von Vorstellungen noch in ihrem Verlauf begriffen ist, werden a und b fortwährend auf der mechanischen Schwelle bleiben; dennoch aber, nachdem die Reihe zu Ende ist, sehr bald sich von selbst wieder ins Bewuſst- seyn erheben. So etwas ereignet sich zu jeder Stunde in jedem Menschen, nur nach einem weit vergröſserten Maaſsstabe, bey jeder Störung in einem Geschäffte, das man vergiſst, so lange die Störung dauert, und wieder er- greift, sobald sie beseitigt ist. Das unangenehme Gefühl der Störung, welches, wenn es heftig ist, im ersten Au- genblicke gleich den Organismus in Mitleidenschaft zieht, und dann den Affect des Schrecks erzeugt, — rührt her von der Gewalt, womit die zur mechanischen Schwelle getriebenen Vorstellungen, deren man sich nicht bewuſst ist, sich denen widersetzen, durch welche sie verdrängt werden. Wirkten die Vorstellungen auf der statischen Schwelle eben so wie die auf der mechanischen: so würde der Mensch sein Daseyn nicht aushalten können. Drittes Capitel. Von wiedererweckten Vorstellungen, nach der einfachsten Ansicht. §. 81. Kaum bedarf es der Erinnerung, daſs das zuletzt be- trachtete Ereigniſs noch von andern wichtigen Folgen be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/288
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/288>, abgerufen am 19.03.2024.