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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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kann, da alle Erfahrung nur Positives giebt, ist nichts
anderes als eine veste Hemmung, wogegen eine Vorstel-
lungsreihe anläuft. Absolut vest braucht die Hemmung
nicht zu seyn; nur so vest, wie die Aussenwelt sich uns
zeigt, wenn sie, unsern Wünschen und Bemühungen
trotzend, uns fortwährend einerley Wahrnehmung er-
neuert
; so dass dagegen unsre Wünsche vergeblich an-
laufen, und hiedurch verneint werden. Dass auch diese
Art von relativer Vestigkeit nicht ursprünglich in den
einzelnen Vorstellungen liegt: weiss man aus den ersten
Elementen der Statik des Geistes, bey fortschreitender
Ausbildung aber kann sehr leicht in einem Systeme von
Vorstellungen eine Wirksamkeit entstehn, die sich ge-
gen ein anderes eben so fortwährend erneuert, wie die
äussere Anschauung gegen die von innen hervordringen-
den Gedanken.

§. 102.

Die Lehren der Mechanik des Geistes sind so all-
gemein, dass sie auch dann noch gelten müssten, wenn
wir in einer ganz anderen Natur, als in der wirklichen,
lebten; so wie die Mechanik der vesten Körper sich,
mutatis mutandis, ohne besondre Schwierigkeit auch auf
eine Astronomie würde übertragen lassen, deren Grund-
gesetz eine Anziehung verkehrt wie der Würfel der Ent-
fernung seyn möchte. Damit würden aber die Erschei-
nungen der Himmelskörper keinesweges zusammenstim-
men; will der Astronom, während er rechnet, die That-
sachen nicht ganz aus den Augen verlieren, so muss er
innerhalb solcher Voraussetzungen bleiben, die zu den
Thatsachen passen. Eben so: wollen wir allmählig uns
vorbereiten, die Mechanik des Geistes mit dem zu ver-
knüpfen, was wir in uns fühlen, und aus der Erfahrung
von uns wissen: so ist es nöthig, dass wir uns nun be-
stimmter, als zuvor, an unsre Welt, das heisst, an die
eigenthümlichen Beschaffenheiten solcher Vorstellungs-
reihen erinnern, die sich im menschlichen Geiste unter

kann, da alle Erfahrung nur Positives giebt, ist nichts
anderes als eine veste Hemmung, wogegen eine Vorstel-
lungsreihe anläuft. Absolut vest braucht die Hemmung
nicht zu seyn; nur so vest, wie die Auſsenwelt sich uns
zeigt, wenn sie, unsern Wünschen und Bemühungen
trotzend, uns fortwährend einerley Wahrnehmung er-
neuert
; so daſs dagegen unsre Wünsche vergeblich an-
laufen, und hiedurch verneint werden. Daſs auch diese
Art von relativer Vestigkeit nicht ursprünglich in den
einzelnen Vorstellungen liegt: weiſs man aus den ersten
Elementen der Statik des Geistes, bey fortschreitender
Ausbildung aber kann sehr leicht in einem Systeme von
Vorstellungen eine Wirksamkeit entstehn, die sich ge-
gen ein anderes eben so fortwährend erneuert, wie die
äuſsere Anschauung gegen die von innen hervordringen-
den Gedanken.

§. 102.

Die Lehren der Mechanik des Geistes sind so all-
gemein, daſs sie auch dann noch gelten müſsten, wenn
wir in einer ganz anderen Natur, als in der wirklichen,
lebten; so wie die Mechanik der vesten Körper sich,
mutatis mutandis, ohne besondre Schwierigkeit auch auf
eine Astronomie würde übertragen lassen, deren Grund-
gesetz eine Anziehung verkehrt wie der Würfel der Ent-
fernung seyn möchte. Damit würden aber die Erschei-
nungen der Himmelskörper keinesweges zusammenstim-
men; will der Astronom, während er rechnet, die That-
sachen nicht ganz aus den Augen verlieren, so muſs er
innerhalb solcher Voraussetzungen bleiben, die zu den
Thatsachen passen. Eben so: wollen wir allmählig uns
vorbereiten, die Mechanik des Geistes mit dem zu ver-
knüpfen, was wir in uns fühlen, und aus der Erfahrung
von uns wissen: so ist es nöthig, daſs wir uns nun be-
stimmter, als zuvor, an unsre Welt, das heiſst, an die
eigenthümlichen Beschaffenheiten solcher Vorstellungs-
reihen erinnern, die sich im menschlichen Geiste unter

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[373/0393] kann, da alle Erfahrung nur Positives giebt, ist nichts anderes als eine veste Hemmung, wogegen eine Vorstel- lungsreihe anläuft. Absolut vest braucht die Hemmung nicht zu seyn; nur so vest, wie die Auſsenwelt sich uns zeigt, wenn sie, unsern Wünschen und Bemühungen trotzend, uns fortwährend einerley Wahrnehmung er- neuert; so daſs dagegen unsre Wünsche vergeblich an- laufen, und hiedurch verneint werden. Daſs auch diese Art von relativer Vestigkeit nicht ursprünglich in den einzelnen Vorstellungen liegt: weiſs man aus den ersten Elementen der Statik des Geistes, bey fortschreitender Ausbildung aber kann sehr leicht in einem Systeme von Vorstellungen eine Wirksamkeit entstehn, die sich ge- gen ein anderes eben so fortwährend erneuert, wie die äuſsere Anschauung gegen die von innen hervordringen- den Gedanken. §. 102. Die Lehren der Mechanik des Geistes sind so all- gemein, daſs sie auch dann noch gelten müſsten, wenn wir in einer ganz anderen Natur, als in der wirklichen, lebten; so wie die Mechanik der vesten Körper sich, mutatis mutandis, ohne besondre Schwierigkeit auch auf eine Astronomie würde übertragen lassen, deren Grund- gesetz eine Anziehung verkehrt wie der Würfel der Ent- fernung seyn möchte. Damit würden aber die Erschei- nungen der Himmelskörper keinesweges zusammenstim- men; will der Astronom, während er rechnet, die That- sachen nicht ganz aus den Augen verlieren, so muſs er innerhalb solcher Voraussetzungen bleiben, die zu den Thatsachen passen. Eben so: wollen wir allmählig uns vorbereiten, die Mechanik des Geistes mit dem zu ver- knüpfen, was wir in uns fühlen, und aus der Erfahrung von uns wissen: so ist es nöthig, daſs wir uns nun be- stimmter, als zuvor, an unsre Welt, das heiſst, an die eigenthümlichen Beschaffenheiten solcher Vorstellungs- reihen erinnern, die sich im menschlichen Geiste unter

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/393>, abgerufen am 25.04.2024.