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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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V.
Von dem Verhältniss der Psychologie zur allge-
meinen Metaphysik.
§. 14.

Bisher sind wir so viel möglich in der Nähe dessen
geblieben, was unmittelbare Klarheit besitzt, indem es an
die innere Wahrnehmung sich anschliesst; jetzt muss auch
von den systematischen Verhältnissen der Psychologie als
Wissenschaft die Rede seyn.

Die Psychologie wurde in der Wolffischen Periode
als der dritte Theil der Metaphysik angesehn. Die Kos-
mologie ging ihr voran, die natürliche Theologie folgte
nach; die Ontologie stand an der Spitze aller drey Wis-
senschaften, um ihnen die allgemeinsten Begriffe vorzu-
bereiten. Die ganze Metaphysik trat der praktischen Phi-
losophie gegenüber; denn man war auf den, aller Ety-
mologie widerstreitenden Ausdruck Metaphysik der
Sitten
noch nicht gekommen *). Leider passt dieser
Ausdruck, der das verderbliche Vermengen der theoreti-
schen und praktischen Philosophie bedeutet, nur gar zu
nahe auf die neuesten Versuche, die Ethik im Geiste des
Spinoza zu behandeln, wodurch der wahre Sinn der Bil-
ligung und Misbilligung, kraft welcher Löbliches und
Schändliches ursprünglich unterschieden wird, ganz und
gar zu Grunde geht **).

Ich erkläre mich für jene ältere Weise, die Meta-
physik zu unterscheiden und einzutheilen; mit einigen Ver-
änderungen, welche hier folgen.

*) Neuerlich hat man dagegen sogar eine Metaphysik des Civil-
Processes erfunden; ja ich erinnere mich in einem französischen Buche
von einer Metaphysik des Violinspielens gelesen zu haben.
**) Man kann hier meine Gespräche über das Böse ver-
gleichen.
V.
Von dem Verhältniſs der Psychologie zur allge-
meinen Metaphysik.
§. 14.

Bisher sind wir so viel möglich in der Nähe dessen
geblieben, was unmittelbare Klarheit besitzt, indem es an
die innere Wahrnehmung sich anschlieſst; jetzt muſs auch
von den systematischen Verhältnissen der Psychologie als
Wissenschaft die Rede seyn.

Die Psychologie wurde in der Wolffischen Periode
als der dritte Theil der Metaphysik angesehn. Die Kos-
mologie ging ihr voran, die natürliche Theologie folgte
nach; die Ontologie stand an der Spitze aller drey Wis-
senschaften, um ihnen die allgemeinsten Begriffe vorzu-
bereiten. Die ganze Metaphysik trat der praktischen Phi-
losophie gegenüber; denn man war auf den, aller Ety-
mologie widerstreitenden Ausdruck Metaphysik der
Sitten
noch nicht gekommen *). Leider paſst dieser
Ausdruck, der das verderbliche Vermengen der theoreti-
schen und praktischen Philosophie bedeutet, nur gar zu
nahe auf die neuesten Versuche, die Ethik im Geiste des
Spinoza zu behandeln, wodurch der wahre Sinn der Bil-
ligung und Misbilligung, kraft welcher Löbliches und
Schändliches ursprünglich unterschieden wird, ganz und
gar zu Grunde geht **).

Ich erkläre mich für jene ältere Weise, die Meta-
physik zu unterscheiden und einzutheilen; mit einigen Ver-
änderungen, welche hier folgen.

*) Neuerlich hat man dagegen sogar eine Metaphysik des Civil-
Processes erfunden; ja ich erinnere mich in einem französischen Buche
von einer Metaphysik des Violinspielens gelesen zu haben.
**) Man kann hier meine Gespräche über das Böse ver-
gleichen.
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[34/0054] V. Von dem Verhältniſs der Psychologie zur allge- meinen Metaphysik. §. 14. Bisher sind wir so viel möglich in der Nähe dessen geblieben, was unmittelbare Klarheit besitzt, indem es an die innere Wahrnehmung sich anschlieſst; jetzt muſs auch von den systematischen Verhältnissen der Psychologie als Wissenschaft die Rede seyn. Die Psychologie wurde in der Wolffischen Periode als der dritte Theil der Metaphysik angesehn. Die Kos- mologie ging ihr voran, die natürliche Theologie folgte nach; die Ontologie stand an der Spitze aller drey Wis- senschaften, um ihnen die allgemeinsten Begriffe vorzu- bereiten. Die ganze Metaphysik trat der praktischen Phi- losophie gegenüber; denn man war auf den, aller Ety- mologie widerstreitenden Ausdruck Metaphysik der Sitten noch nicht gekommen *). Leider paſst dieser Ausdruck, der das verderbliche Vermengen der theoreti- schen und praktischen Philosophie bedeutet, nur gar zu nahe auf die neuesten Versuche, die Ethik im Geiste des Spinoza zu behandeln, wodurch der wahre Sinn der Bil- ligung und Misbilligung, kraft welcher Löbliches und Schändliches ursprünglich unterschieden wird, ganz und gar zu Grunde geht **). Ich erkläre mich für jene ältere Weise, die Meta- physik zu unterscheiden und einzutheilen; mit einigen Ver- änderungen, welche hier folgen. *) Neuerlich hat man dagegen sogar eine Metaphysik des Civil- Processes erfunden; ja ich erinnere mich in einem französischen Buche von einer Metaphysik des Violinspielens gelesen zu haben. **) Man kann hier meine Gespräche über das Böse ver- gleichen.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/54>, abgerufen am 28.03.2024.