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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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thümlichen Art und Weise abhängen, wie in ihm die
Reihen mit einander gehen oder wider einander stossen.

Dass der Zuschauer völlig unbefangen sey, wird da-
bey vorausgesetzt. Es soll nicht an ihm, sondern le-
diglich an der jener ihm dargebotenen Reihen liegen,
welches Gefühl sie in ihm erregen. Darum spricht
er seine Gefühle in der Form einer Beurtheilung des
Gegenstandes aus. Und der Gegenstand heisst aus eben
diesem Grunde mit Recht ein ästhetischer. Denn was
ist ein ästhetischer Gegenstand? Nichts anderes als ein
solcher, dessen blosse Vorstellung geeignet ist,
in dem ihm hingegebenen, affectlosen Zuschauer
ein bestimmtes Gefühl zu erregen
.

Uebrigens versteht sich von selbst, dass in der Be-
trachtung der Willens-Verhältnisse, aus deren Beurthei-
lung die praktischen Ideen entspringen, der Wille nicht
so erscheint, als ob wirkliche, bestimmt anzugebende
Reihen, die aus einzelnen Gliedern bestünden, von ihm
abliefen. Er ist nur der Anfangspunct möglicher Rei-
hen; und Alles beruht hier auf dem ihm zugeschriebenen
nisus, gewissen Reihen, die aus ihm hervorzutreten im
Begriff sind, ihre Richtungen anzuweisen. --

Im gegenwärtigen Paragraphen musste Mancherley
berührt werden, das erst weiterhin mehr entwickelt wer-
den kann. Der fühlende Mensch sollte sich in der ge-
gebenen kurzen Darstellung so viel als möglich wieder
erkennen, zu diesem Behuf war nöthig, das Knäuel so
zu nehmen, wie es vorliegt; und nicht gar zu ängstlich
diejenigen Gefühle abzusondern, die nur erst bey höhe-
rer Ausbildung entstehen können.


Zweytes Capitel.
Von den Affecten und den Leidenschaften; nebst
Rückblicken auf das Vorhergehende.
§. 106.

Eine vollständige, und möglichst sichere, Analyse
der Begehrung und des Gefühls würde sich nicht unmit-

thümlichen Art und Weise abhängen, wie in ihm die
Reihen mit einander gehen oder wider einander stoſsen.

Daſs der Zuschauer völlig unbefangen sey, wird da-
bey vorausgesetzt. Es soll nicht an ihm, sondern le-
diglich an der jener ihm dargebotenen Reihen liegen,
welches Gefühl sie in ihm erregen. Darum spricht
er seine Gefühle in der Form einer Beurtheilung des
Gegenstandes aus. Und der Gegenstand heiſst aus eben
diesem Grunde mit Recht ein ästhetischer. Denn was
ist ein ästhetischer Gegenstand? Nichts anderes als ein
solcher, dessen bloſse Vorstellung geeignet ist,
in dem ihm hingegebenen, affectlosen Zuschauer
ein bestimmtes Gefühl zu erregen
.

Uebrigens versteht sich von selbst, daſs in der Be-
trachtung der Willens-Verhältnisse, aus deren Beurthei-
lung die praktischen Ideen entspringen, der Wille nicht
so erscheint, als ob wirkliche, bestimmt anzugebende
Reihen, die aus einzelnen Gliedern bestünden, von ihm
abliefen. Er ist nur der Anfangspunct möglicher Rei-
hen; und Alles beruht hier auf dem ihm zugeschriebenen
nisus, gewissen Reihen, die aus ihm hervorzutreten im
Begriff sind, ihre Richtungen anzuweisen. —

Im gegenwärtigen Paragraphen muſste Mancherley
berührt werden, das erst weiterhin mehr entwickelt wer-
den kann. Der fühlende Mensch sollte sich in der ge-
gebenen kurzen Darstellung so viel als möglich wieder
erkennen, zu diesem Behuf war nöthig, das Knäuel so
zu nehmen, wie es vorliegt; und nicht gar zu ängstlich
diejenigen Gefühle abzusondern, die nur erst bey höhe-
rer Ausbildung entstehen können.


Zweytes Capitel.
Von den Affecten und den Leidenschaften; nebst
Rückblicken auf das Vorhergehende.
§. 106.

Eine vollständige, und möglichst sichere, Analyse
der Begehrung und des Gefühls würde sich nicht unmit-

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[98/0133] thümlichen Art und Weise abhängen, wie in ihm die Reihen mit einander gehen oder wider einander stoſsen. Daſs der Zuschauer völlig unbefangen sey, wird da- bey vorausgesetzt. Es soll nicht an ihm, sondern le- diglich an der jener ihm dargebotenen Reihen liegen, welches Gefühl sie in ihm erregen. Darum spricht er seine Gefühle in der Form einer Beurtheilung des Gegenstandes aus. Und der Gegenstand heiſst aus eben diesem Grunde mit Recht ein ästhetischer. Denn was ist ein ästhetischer Gegenstand? Nichts anderes als ein solcher, dessen bloſse Vorstellung geeignet ist, in dem ihm hingegebenen, affectlosen Zuschauer ein bestimmtes Gefühl zu erregen. Uebrigens versteht sich von selbst, daſs in der Be- trachtung der Willens-Verhältnisse, aus deren Beurthei- lung die praktischen Ideen entspringen, der Wille nicht so erscheint, als ob wirkliche, bestimmt anzugebende Reihen, die aus einzelnen Gliedern bestünden, von ihm abliefen. Er ist nur der Anfangspunct möglicher Rei- hen; und Alles beruht hier auf dem ihm zugeschriebenen nisus, gewissen Reihen, die aus ihm hervorzutreten im Begriff sind, ihre Richtungen anzuweisen. — Im gegenwärtigen Paragraphen muſste Mancherley berührt werden, das erst weiterhin mehr entwickelt wer- den kann. Der fühlende Mensch sollte sich in der ge- gebenen kurzen Darstellung so viel als möglich wieder erkennen, zu diesem Behuf war nöthig, das Knäuel so zu nehmen, wie es vorliegt; und nicht gar zu ängstlich diejenigen Gefühle abzusondern, die nur erst bey höhe- rer Ausbildung entstehen können. Zweytes Capitel. Von den Affecten und den Leidenschaften; nebst Rückblicken auf das Vorhergehende. §. 106. Eine vollständige, und möglichst sichere, Analyse der Begehrung und des Gefühls würde sich nicht unmit-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/133>, abgerufen am 19.03.2024.