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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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da, wo man nur wissen will, wie unsre Vorstellun-
gen von Objecten sich ursprünglich aus den
einfachen Empfindungen der einzelnen Sinne
zusammensetzen
; und die überflüssige Einmischung
dient nur, diese Frage, die wir eben zuvor beantwortet
haben, zu verdunkeln.

§. 119.

Wie das Factum zwar seine Richtigkeit hat, dass
die einzelnen sinnlichen Vorstellungen im Bewusstseyn
vereinigt (eigentlich gruppirt) werden; aber Kants An-
nahme eines vereinigenden Vermögens unzulässig ist:
eben so unterliegt zwar die Thatsache keinem Zweifel,
dass aus Wahrnehmungen Begriffe, und aus undeutli-
chen Begriffen deutliche Begriffe entstehen; aber eine
eigentliche Scheidewand zwischen einem untern und obern
Erkenntnissvermögen, wie dergleichen Wolff hier zu
finden glaubte, -- so dass es wohl Wesen geben könne
oder gar wirklich gebe, die das eine besässen und das
andere entbehrten, -- ist ein Hirngespinnst; und der
Deus ex machina, den man Verstand nennt, und der
sogar (z. B. von Hoffbauer) als ein productives
Vermögen beschrieben wird, kommt der Wissenschaft
um nichts gelegener, wenn er Begriffe erzeugen, als wenn
er die Synthesis der Wahrnehmungen besorgen will.

Allein die Masse der in einander verstrickten Irrthü-
mer, mit denen uns sogar die gangbaren Logiken ent-
gegenkommen, nöthigt uns, hier etwas weitläuftiger zu
werden als bey dem vorigen Gegenstande; und mit einer
Vorerinnerung anzufangen.

Wenn wir auch von dem Verstande und der
Vernunft nur Worterklärungen verlangen: so finden
wir gerade heutiges Tages die ärgste aller nur immer
denkbaren Verwirrungen. -- Die entferntern Ursachen
zu dieser Verkehrtheit haben schon die frühern bessern
Denker gegeben. Diesen schien es bequem, sich hier,
wie anderwärts, an die Logik zu lehnen, ohne zu über-
legen, ob es denn auch die Sache der Logik sey, das

da, wo man nur wissen will, wie unsre Vorstellun-
gen von Objecten sich ursprünglich aus den
einfachen Empfindungen der einzelnen Sinne
zusammensetzen
; und die überflüssige Einmischung
dient nur, diese Frage, die wir eben zuvor beantwortet
haben, zu verdunkeln.

§. 119.

Wie das Factum zwar seine Richtigkeit hat, daſs
die einzelnen sinnlichen Vorstellungen im Bewuſstseyn
vereinigt (eigentlich gruppirt) werden; aber Kants An-
nahme eines vereinigenden Vermögens unzulässig ist:
eben so unterliegt zwar die Thatsache keinem Zweifel,
daſs aus Wahrnehmungen Begriffe, und aus undeutli-
chen Begriffen deutliche Begriffe entstehen; aber eine
eigentliche Scheidewand zwischen einem untern und obern
Erkenntniſsvermögen, wie dergleichen Wolff hier zu
finden glaubte, — so daſs es wohl Wesen geben könne
oder gar wirklich gebe, die das eine besäſsen und das
andere entbehrten, — ist ein Hirngespinnst; und der
Deus ex machina, den man Verstand nennt, und der
sogar (z. B. von Hoffbauer) als ein productives
Vermögen beschrieben wird, kommt der Wissenschaft
um nichts gelegener, wenn er Begriffe erzeugen, als wenn
er die Synthesis der Wahrnehmungen besorgen will.

Allein die Masse der in einander verstrickten Irrthü-
mer, mit denen uns sogar die gangbaren Logiken ent-
gegenkommen, nöthigt uns, hier etwas weitläuftiger zu
werden als bey dem vorigen Gegenstande; und mit einer
Vorerinnerung anzufangen.

Wenn wir auch von dem Verstande und der
Vernunft nur Worterklärungen verlangen: so finden
wir gerade heutiges Tages die ärgste aller nur immer
denkbaren Verwirrungen. — Die entferntern Ursachen
zu dieser Verkehrtheit haben schon die frühern bessern
Denker gegeben. Diesen schien es bequem, sich hier,
wie anderwärts, an die Logik zu lehnen, ohne zu über-
legen, ob es denn auch die Sache der Logik sey, das

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[171/0206] da, wo man nur wissen will, wie unsre Vorstellun- gen von Objecten sich ursprünglich aus den einfachen Empfindungen der einzelnen Sinne zusammensetzen; und die überflüssige Einmischung dient nur, diese Frage, die wir eben zuvor beantwortet haben, zu verdunkeln. §. 119. Wie das Factum zwar seine Richtigkeit hat, daſs die einzelnen sinnlichen Vorstellungen im Bewuſstseyn vereinigt (eigentlich gruppirt) werden; aber Kants An- nahme eines vereinigenden Vermögens unzulässig ist: eben so unterliegt zwar die Thatsache keinem Zweifel, daſs aus Wahrnehmungen Begriffe, und aus undeutli- chen Begriffen deutliche Begriffe entstehen; aber eine eigentliche Scheidewand zwischen einem untern und obern Erkenntniſsvermögen, wie dergleichen Wolff hier zu finden glaubte, — so daſs es wohl Wesen geben könne oder gar wirklich gebe, die das eine besäſsen und das andere entbehrten, — ist ein Hirngespinnst; und der Deus ex machina, den man Verstand nennt, und der sogar (z. B. von Hoffbauer) als ein productives Vermögen beschrieben wird, kommt der Wissenschaft um nichts gelegener, wenn er Begriffe erzeugen, als wenn er die Synthesis der Wahrnehmungen besorgen will. Allein die Masse der in einander verstrickten Irrthü- mer, mit denen uns sogar die gangbaren Logiken ent- gegenkommen, nöthigt uns, hier etwas weitläuftiger zu werden als bey dem vorigen Gegenstande; und mit einer Vorerinnerung anzufangen. Wenn wir auch von dem Verstande und der Vernunft nur Worterklärungen verlangen: so finden wir gerade heutiges Tages die ärgste aller nur immer denkbaren Verwirrungen. — Die entferntern Ursachen zu dieser Verkehrtheit haben schon die frühern bessern Denker gegeben. Diesen schien es bequem, sich hier, wie anderwärts, an die Logik zu lehnen, ohne zu über- legen, ob es denn auch die Sache der Logik sey, das

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/206>, abgerufen am 19.03.2024.