Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

lens, so wie das Ursprüngliche der Begriffe, (§. 121. 122.)
eben so wohl bey Thieren erwarten müssen, als bey
Menschen. Denn die Grundbedingungen für den Ur-
sprung der Begriffe und Urtheile liegen ganz allgemein
in dem Mechanismus der Vorstellungen überhaupt, und
erfordern, wenn wir den Sprach-Ausdruck abrechnen,
noch nichts ausschliessend Menschliches. Anders verhält
es sich mit dem Aufbewahren der Urtheilsform. Diese
geschieht erst durch die Sprache; welche den, an sich
flüchtigen, Uebergang vom Subjecte zum Prädicate fixirt.
Auch liegt in der Vieldeutigkeit der Worte ein
Grund, die Urtheilsform häufiger anzuwenden; indem
das Wort, wodurch man einen vorliegenden Gegenstand
benannt hat, in einer Unbestimmtheit schwebt, welcher
durch Angabe eines oder mehrerer Prädicate muss nach-
geholfen werden, um den Ausdruck für die Sache ein-
zurichten.

§. 124.

Fast unvermerkt finden wir uns hier auf die be-
rühmte Lehre von den Kategorien und Kategoremen
geführt, die nach der gangbaren Vorstellungsart ein ur-
sprünglicher Schatz seyn sollen; ja das unentbehrliche
Mittel, um Erfahrung aus den Empfindungen zu bereiten,
welche (so meint man) dergleichen Begriffe dem Ver-
stande auf keine Weise zuführen konnten. Verhielte es
sich wirklich so, dann wäre hier ganz der unrechte Ort,
davon zu reden. Nicht dem geistigen Leben überhaupt,
sondern nur den Vernunftwesen würden die Kategorien
angehören. Die Erfahrung der Thiere wäre nicht nach
Quantität und Qualität bestimmt; denn sie hätten nicht
die Begriffe von Einheit und Vielheit, nicht die des
Wirklichen und Fehlenden (Realität und Negation); auch
nicht des Handelnden und Leidenden (Causalität), nicht
des Möglichen und Unmöglichen, in ihre Empfindung
hineintragen können; da sie von dem Besitze des Ver-
standes und seiner ursprünglichen Ausstattung ausgeschlos-
sen sind. Das einzige, was die empirische Psychologie

lens, so wie das Ursprüngliche der Begriffe, (§. 121. 122.)
eben so wohl bey Thieren erwarten müssen, als bey
Menschen. Denn die Grundbedingungen für den Ur-
sprung der Begriffe und Urtheile liegen ganz allgemein
in dem Mechanismus der Vorstellungen überhaupt, und
erfordern, wenn wir den Sprach-Ausdruck abrechnen,
noch nichts ausschlieſsend Menschliches. Anders verhält
es sich mit dem Aufbewahren der Urtheilsform. Diese
geschieht erst durch die Sprache; welche den, an sich
flüchtigen, Uebergang vom Subjecte zum Prädicate fixirt.
Auch liegt in der Vieldeutigkeit der Worte ein
Grund, die Urtheilsform häufiger anzuwenden; indem
das Wort, wodurch man einen vorliegenden Gegenstand
benannt hat, in einer Unbestimmtheit schwebt, welcher
durch Angabe eines oder mehrerer Prädicate muſs nach-
geholfen werden, um den Ausdruck für die Sache ein-
zurichten.

§. 124.

Fast unvermerkt finden wir uns hier auf die be-
rühmte Lehre von den Kategorien und Kategoremen
geführt, die nach der gangbaren Vorstellungsart ein ur-
sprünglicher Schatz seyn sollen; ja das unentbehrliche
Mittel, um Erfahrung aus den Empfindungen zu bereiten,
welche (so meint man) dergleichen Begriffe dem Ver-
stande auf keine Weise zuführen konnten. Verhielte es
sich wirklich so, dann wäre hier ganz der unrechte Ort,
davon zu reden. Nicht dem geistigen Leben überhaupt,
sondern nur den Vernunftwesen würden die Kategorien
angehören. Die Erfahrung der Thiere wäre nicht nach
Quantität und Qualität bestimmt; denn sie hätten nicht
die Begriffe von Einheit und Vielheit, nicht die des
Wirklichen und Fehlenden (Realität und Negation); auch
nicht des Handelnden und Leidenden (Causalität), nicht
des Möglichen und Unmöglichen, in ihre Empfindung
hineintragen können; da sie von dem Besitze des Ver-
standes und seiner ursprünglichen Ausstattung ausgeschlos-
sen sind. Das einzige, was die empirische Psychologie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0226" n="191"/>
lens, so wie das Ursprüngliche der Begriffe, (§. 121. 122.)<lb/>
eben so wohl bey Thieren erwarten müssen, als bey<lb/>
Menschen. Denn die Grundbedingungen für den Ur-<lb/>
sprung der Begriffe und Urtheile liegen ganz allgemein<lb/>
in dem Mechanismus der Vorstellungen überhaupt, und<lb/>
erfordern, wenn wir den Sprach-Ausdruck abrechnen,<lb/>
noch nichts ausschlie&#x017F;send Menschliches. Anders verhält<lb/>
es sich mit dem <hi rendition="#g">Aufbewahren</hi> der Urtheilsform. Diese<lb/>
geschieht erst durch die Sprache; welche den, an sich<lb/>
flüchtigen, Uebergang vom Subjecte zum Prädicate fixirt.<lb/>
Auch liegt in der <hi rendition="#g">Vieldeutigkeit der Worte</hi> ein<lb/>
Grund, die Urtheilsform <hi rendition="#g">häufiger anzuwenden</hi>; indem<lb/>
das Wort, wodurch man einen vorliegenden Gegenstand<lb/>
benannt hat, in einer Unbestimmtheit schwebt, welcher<lb/>
durch Angabe eines oder mehrerer Prädicate mu&#x017F;s nach-<lb/>
geholfen werden, um den Ausdruck für die Sache ein-<lb/>
zurichten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 124.</head><lb/>
              <p>Fast unvermerkt finden wir uns hier auf die be-<lb/>
rühmte Lehre von den <hi rendition="#g">Kategorien</hi> und <hi rendition="#g">Kategoremen</hi><lb/>
geführt, die nach der gangbaren Vorstellungsart ein ur-<lb/>
sprünglicher Schatz seyn sollen; ja das unentbehrliche<lb/>
Mittel, um Erfahrung aus den Empfindungen zu bereiten,<lb/>
welche (so meint man) dergleichen Begriffe dem Ver-<lb/>
stande auf keine Weise zuführen konnten. Verhielte es<lb/>
sich wirklich so, dann wäre hier ganz der unrechte Ort,<lb/>
davon zu reden. Nicht dem geistigen Leben überhaupt,<lb/>
sondern nur den Vernunftwesen würden die Kategorien<lb/>
angehören. Die Erfahrung der Thiere wäre nicht nach<lb/>
Quantität und Qualität bestimmt; denn sie hätten nicht<lb/>
die Begriffe von Einheit und Vielheit, nicht die des<lb/>
Wirklichen und Fehlenden (Realität und Negation); auch<lb/>
nicht des Handelnden und Leidenden (Causalität), nicht<lb/>
des Möglichen und Unmöglichen, in ihre Empfindung<lb/>
hineintragen können; da sie von dem Besitze des Ver-<lb/>
standes und seiner ursprünglichen Ausstattung ausgeschlos-<lb/>
sen sind. Das einzige, was die empirische Psychologie<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0226] lens, so wie das Ursprüngliche der Begriffe, (§. 121. 122.) eben so wohl bey Thieren erwarten müssen, als bey Menschen. Denn die Grundbedingungen für den Ur- sprung der Begriffe und Urtheile liegen ganz allgemein in dem Mechanismus der Vorstellungen überhaupt, und erfordern, wenn wir den Sprach-Ausdruck abrechnen, noch nichts ausschlieſsend Menschliches. Anders verhält es sich mit dem Aufbewahren der Urtheilsform. Diese geschieht erst durch die Sprache; welche den, an sich flüchtigen, Uebergang vom Subjecte zum Prädicate fixirt. Auch liegt in der Vieldeutigkeit der Worte ein Grund, die Urtheilsform häufiger anzuwenden; indem das Wort, wodurch man einen vorliegenden Gegenstand benannt hat, in einer Unbestimmtheit schwebt, welcher durch Angabe eines oder mehrerer Prädicate muſs nach- geholfen werden, um den Ausdruck für die Sache ein- zurichten. §. 124. Fast unvermerkt finden wir uns hier auf die be- rühmte Lehre von den Kategorien und Kategoremen geführt, die nach der gangbaren Vorstellungsart ein ur- sprünglicher Schatz seyn sollen; ja das unentbehrliche Mittel, um Erfahrung aus den Empfindungen zu bereiten, welche (so meint man) dergleichen Begriffe dem Ver- stande auf keine Weise zuführen konnten. Verhielte es sich wirklich so, dann wäre hier ganz der unrechte Ort, davon zu reden. Nicht dem geistigen Leben überhaupt, sondern nur den Vernunftwesen würden die Kategorien angehören. Die Erfahrung der Thiere wäre nicht nach Quantität und Qualität bestimmt; denn sie hätten nicht die Begriffe von Einheit und Vielheit, nicht die des Wirklichen und Fehlenden (Realität und Negation); auch nicht des Handelnden und Leidenden (Causalität), nicht des Möglichen und Unmöglichen, in ihre Empfindung hineintragen können; da sie von dem Besitze des Ver- standes und seiner ursprünglichen Ausstattung ausgeschlos- sen sind. Das einzige, was die empirische Psychologie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/226
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/226>, abgerufen am 19.03.2024.