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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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appercipirte Vorstellung nicht immer als unsere Vor-
stellung Uns zugeeignet wird, wovon tiefer unten.

§. 126.

Eine Verschiedenheit jedoch zwischen der Apper-
ception der innern Wahrnehmung und der äussern dringt
sich auf, die uns den Weg zu versperren scheint.

Nämlich bey der äussern Wahrnehmung ist offenbar
diese selbst das Appercipirte; und die aus dem Innern
hervorkommende, mit ihr verschmelzende, Vorstellungs-
masse ist das Appercipirende. Die letztere ist die bey
weitem mächtigere; sie ist gebildet aus allen frühern Auf-
fassungen; damit kommt die neue Wahrnehmung auch
bey der grössten Stärke der momentanen Auffassung nicht
in Vergleich, zudem wegen der abnehmenden Empfäng-
lichkeit; -- und deshalb muss sie sich gefallen lassen,
hineingezogen zu werden in die schon vorhandenen Ver-
bindungen und Bewegungen der älteren Vorstellungen.

Aber bey der innern Wahrnehmung, wo beydes, das
Appercipirte und das Appercipirende, innerlich ist, kann
man wohl anstehen und fragen: welche Vorstellung wird
hier zugeeignet, und welche ist die zueignende?
Bey ein paar Vorstellungsreihen, wie wir oben, ohne
weiteren Unterschied, angenommen haben, muss dieses
schlechterdings zweifelhaft bleiben; und daraus sehen wir,
dass in denjenigen Fällen, wo sich deutlich dasjenige
offenbart, was man den innern Sinn zu nennen gewohnt
ist, noch eine nähere Bestimmung hinzukommen werde.

Wir haben hier Ursache, der Analogie mit der äu-
sseren Wahrnehmung nachzugehen. Denn offenbar ist
der psychologische Begriff des inneren Sinnes ein
nachgebildeter Begriff, der die Aehnlichkeit gewisser
Thatsachen des Bewusstseyns mit denen der äusseren
Wahrnehmung ausdrücken soll. Die zuerst vom innern
Sinne redeten, erfuhren in sich selbst etwas, das sie nur
mit den Auffassungen durch Auge und Ohr und Getast,
zu vergleichen wussten. Eine Aehnlichkeit also muss da

appercipirte Vorstellung nicht immer als unsere Vor-
stellung Uns zugeeignet wird, wovon tiefer unten.

§. 126.

Eine Verschiedenheit jedoch zwischen der Apper-
ception der innern Wahrnehmung und der äuſsern dringt
sich auf, die uns den Weg zu versperren scheint.

Nämlich bey der äuſsern Wahrnehmung ist offenbar
diese selbst das Appercipirte; und die aus dem Innern
hervorkommende, mit ihr verschmelzende, Vorstellungs-
masse ist das Appercipirende. Die letztere ist die bey
weitem mächtigere; sie ist gebildet aus allen frühern Auf-
fassungen; damit kommt die neue Wahrnehmung auch
bey der gröſsten Stärke der momentanen Auffassung nicht
in Vergleich, zudem wegen der abnehmenden Empfäng-
lichkeit; — und deshalb muſs sie sich gefallen lassen,
hineingezogen zu werden in die schon vorhandenen Ver-
bindungen und Bewegungen der älteren Vorstellungen.

Aber bey der innern Wahrnehmung, wo beydes, das
Appercipirte und das Appercipirende, innerlich ist, kann
man wohl anstehen und fragen: welche Vorstellung wird
hier zugeeignet, und welche ist die zueignende?
Bey ein paar Vorstellungsreihen, wie wir oben, ohne
weiteren Unterschied, angenommen haben, muſs dieses
schlechterdings zweifelhaft bleiben; und daraus sehen wir,
daſs in denjenigen Fällen, wo sich deutlich dasjenige
offenbart, was man den innern Sinn zu nennen gewohnt
ist, noch eine nähere Bestimmung hinzukommen werde.

Wir haben hier Ursache, der Analogie mit der äu-
ſseren Wahrnehmung nachzugehen. Denn offenbar ist
der psychologische Begriff des inneren Sinnes ein
nachgebildeter Begriff, der die Aehnlichkeit gewisser
Thatsachen des Bewuſstseyns mit denen der äuſseren
Wahrnehmung ausdrücken soll. Die zuerst vom innern
Sinne redeten, erfuhren in sich selbst etwas, das sie nur
mit den Auffassungen durch Auge und Ohr und Getast,
zu vergleichen wuſsten. Eine Aehnlichkeit also muſs da

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[215/0250] appercipirte Vorstellung nicht immer als unsere Vor- stellung Uns zugeeignet wird, wovon tiefer unten. §. 126. Eine Verschiedenheit jedoch zwischen der Apper- ception der innern Wahrnehmung und der äuſsern dringt sich auf, die uns den Weg zu versperren scheint. Nämlich bey der äuſsern Wahrnehmung ist offenbar diese selbst das Appercipirte; und die aus dem Innern hervorkommende, mit ihr verschmelzende, Vorstellungs- masse ist das Appercipirende. Die letztere ist die bey weitem mächtigere; sie ist gebildet aus allen frühern Auf- fassungen; damit kommt die neue Wahrnehmung auch bey der gröſsten Stärke der momentanen Auffassung nicht in Vergleich, zudem wegen der abnehmenden Empfäng- lichkeit; — und deshalb muſs sie sich gefallen lassen, hineingezogen zu werden in die schon vorhandenen Ver- bindungen und Bewegungen der älteren Vorstellungen. Aber bey der innern Wahrnehmung, wo beydes, das Appercipirte und das Appercipirende, innerlich ist, kann man wohl anstehen und fragen: welche Vorstellung wird hier zugeeignet, und welche ist die zueignende? Bey ein paar Vorstellungsreihen, wie wir oben, ohne weiteren Unterschied, angenommen haben, muſs dieses schlechterdings zweifelhaft bleiben; und daraus sehen wir, daſs in denjenigen Fällen, wo sich deutlich dasjenige offenbart, was man den innern Sinn zu nennen gewohnt ist, noch eine nähere Bestimmung hinzukommen werde. Wir haben hier Ursache, der Analogie mit der äu- ſseren Wahrnehmung nachzugehen. Denn offenbar ist der psychologische Begriff des inneren Sinnes ein nachgebildeter Begriff, der die Aehnlichkeit gewisser Thatsachen des Bewuſstseyns mit denen der äuſseren Wahrnehmung ausdrücken soll. Die zuerst vom innern Sinne redeten, erfuhren in sich selbst etwas, das sie nur mit den Auffassungen durch Auge und Ohr und Getast, zu vergleichen wuſsten. Eine Aehnlichkeit also muſs da

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/250>, abgerufen am 19.03.2024.