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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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wir hier in der Nähe des Selbstbewusstseyns uns
befinden. Die früherhin so mühsam gesuchte Ichheit
kann sich uns nicht lange mehr entziehen. Und wahr-
scheinlich werden die Meisten es sehr beschwerlich finden,
dieses Centrum, ja diese Seele bey den bisher erwähn-
ten Gegenständen zu entbehren. Sie werden fragen, ob
es denn Begriffe, Urtheile, und innere Wahrnehmungen
geben könne, ohne Selbstbewusstseyn? Ob auch nur ir-
gend ein räumliches Object sich auffassen lasse ohne
Subject, dem es gegenüber stehe?

Die nun solchergestalt eine Menge leicht vorherzu-
sehender Einwendungen gegen unsre Darstellung im Sinne
tragen, diese mögen mit sich selbst überlegen, was denn
wohl für einen Begriff von dem Vorstellungs-Kreise der
Thiere, und insbesondere der edleren Thiere, sie sich
zu machen geneigt seyen? Wollen sie deuselben eine
vollkommene Ichheit zugestehn? dergleichen nach allen
äussern Zeichen sogar dem menschlichen Kinde eine ge-
raume Zeitlang fehlt! Aber räumliche und zeitliche Vor-
stellungen, die erstern in beträchtlicher Ausbildung, fer-
ner die roheren Anfänge von Begriffen, Urtheilen, und
selbst von inneren Wahrnehmungen, können den edlern
Thieren nicht abgesprochen werden. Daher gehört dies
alles in die Sphäre derjenigen allgemeineren Betrachtun-
gen, welchen dieser erste Abschnitt gewidmet war.

§. 128.

In den Kreis der Apperceptionen fällt auch ein gro-
sser Theil dessen, was man Aufmerken nennt. Allein
hier müssen verschiedene Bedeutungen des Worts von
einander gesondert werden. Dass die Aufmerksamkeit in
die willkührliche und unwillkührliche zerfällt; dass die letz-
tere wiederum zum Theil von der Reproduction abhängt,
zum Theil auch hievon unabhängig, durch zwey positive
Ursachen, die Stärke des Eindrucks und die Empfäng-
lichkeit, und durch zwey negative, den Hemmungsgrad
und die Abweichung vom Gleichgewichte der frühern
Vorstellungen, bestimmt wird: dies muss aus der Abhand-

wir hier in der Nähe des Selbstbewuſstseyns uns
befinden. Die früherhin so mühsam gesuchte Ichheit
kann sich uns nicht lange mehr entziehen. Und wahr-
scheinlich werden die Meisten es sehr beschwerlich finden,
dieses Centrum, ja diese Seele bey den bisher erwähn-
ten Gegenständen zu entbehren. Sie werden fragen, ob
es denn Begriffe, Urtheile, und innere Wahrnehmungen
geben könne, ohne Selbstbewuſstseyn? Ob auch nur ir-
gend ein räumliches Object sich auffassen lasse ohne
Subject, dem es gegenüber stehe?

Die nun solchergestalt eine Menge leicht vorherzu-
sehender Einwendungen gegen unsre Darstellung im Sinne
tragen, diese mögen mit sich selbst überlegen, was denn
wohl für einen Begriff von dem Vorstellungs-Kreise der
Thiere, und insbesondere der edleren Thiere, sie sich
zu machen geneigt seyen? Wollen sie deuselben eine
vollkommene Ichheit zugestehn? dergleichen nach allen
äuſsern Zeichen sogar dem menschlichen Kinde eine ge-
raume Zeitlang fehlt! Aber räumliche und zeitliche Vor-
stellungen, die erstern in beträchtlicher Ausbildung, fer-
ner die roheren Anfänge von Begriffen, Urtheilen, und
selbst von inneren Wahrnehmungen, können den edlern
Thieren nicht abgesprochen werden. Daher gehört dies
alles in die Sphäre derjenigen allgemeineren Betrachtun-
gen, welchen dieser erste Abschnitt gewidmet war.

§. 128.

In den Kreis der Apperceptionen fällt auch ein gro-
ſser Theil dessen, was man Aufmerken nennt. Allein
hier müssen verschiedene Bedeutungen des Worts von
einander gesondert werden. Daſs die Aufmerksamkeit in
die willkührliche und unwillkührliche zerfällt; daſs die letz-
tere wiederum zum Theil von der Reproduction abhängt,
zum Theil auch hievon unabhängig, durch zwey positive
Ursachen, die Stärke des Eindrucks und die Empfäng-
lichkeit, und durch zwey negative, den Hemmungsgrad
und die Abweichung vom Gleichgewichte der frühern
Vorstellungen, bestimmt wird: dies muſs aus der Abhand-

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[223/0258] wir hier in der Nähe des Selbstbewuſstseyns uns befinden. Die früherhin so mühsam gesuchte Ichheit kann sich uns nicht lange mehr entziehen. Und wahr- scheinlich werden die Meisten es sehr beschwerlich finden, dieses Centrum, ja diese Seele bey den bisher erwähn- ten Gegenständen zu entbehren. Sie werden fragen, ob es denn Begriffe, Urtheile, und innere Wahrnehmungen geben könne, ohne Selbstbewuſstseyn? Ob auch nur ir- gend ein räumliches Object sich auffassen lasse ohne Subject, dem es gegenüber stehe? Die nun solchergestalt eine Menge leicht vorherzu- sehender Einwendungen gegen unsre Darstellung im Sinne tragen, diese mögen mit sich selbst überlegen, was denn wohl für einen Begriff von dem Vorstellungs-Kreise der Thiere, und insbesondere der edleren Thiere, sie sich zu machen geneigt seyen? Wollen sie deuselben eine vollkommene Ichheit zugestehn? dergleichen nach allen äuſsern Zeichen sogar dem menschlichen Kinde eine ge- raume Zeitlang fehlt! Aber räumliche und zeitliche Vor- stellungen, die erstern in beträchtlicher Ausbildung, fer- ner die roheren Anfänge von Begriffen, Urtheilen, und selbst von inneren Wahrnehmungen, können den edlern Thieren nicht abgesprochen werden. Daher gehört dies alles in die Sphäre derjenigen allgemeineren Betrachtun- gen, welchen dieser erste Abschnitt gewidmet war. §. 128. In den Kreis der Apperceptionen fällt auch ein gro- ſser Theil dessen, was man Aufmerken nennt. Allein hier müssen verschiedene Bedeutungen des Worts von einander gesondert werden. Daſs die Aufmerksamkeit in die willkührliche und unwillkührliche zerfällt; daſs die letz- tere wiederum zum Theil von der Reproduction abhängt, zum Theil auch hievon unabhängig, durch zwey positive Ursachen, die Stärke des Eindrucks und die Empfäng- lichkeit, und durch zwey negative, den Hemmungsgrad und die Abweichung vom Gleichgewichte der frühern Vorstellungen, bestimmt wird: dies muſs aus der Abhand-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/258>, abgerufen am 19.03.2024.