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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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menschliche Auffassung der Welt im Werden
begriffen ist
.

Daraus folgt dann sogleich, dass auch die Täu-
schungen, die in diesem Werden nach einan-
der entstehen, sehr mannigfaltig, dass sie den
verschiedenen Bildungsstufen angemessen sind,
welche successiv erreicht werden
; dass sie also
in kein Register, etwa von Antinomieen der reinen
Vernunft, sich einschliessen lassen.

§. 141.

Ursprünglich ist jede Wahrnehmung (wie roth, blau,
süss, sauer,) rein positiv, oder affirmativ; sie stellt daher
ihr Object nicht als Merkmal oder Eigenschaft eines Din-
ges, sondern gerade so dar, wie es bleiben müsste, wenn
ihm das Seyn sollte zugeschrieben werden. (Vergl. Haupt-
puncte der Metaphysik §. 1.)

Auf den gegenseitigen Hemmungen der Vorstellun-
gen unter einander beruhen die Negationen, und die
Zweifel, ob auch das Wahrgenommene sey oder nicht
sey; endlich die Unterscheidungen der Eigenschaften, de-
nen nur ein inhärentes Seyn, und eben darum kein wah-
res
Seyn zugeschrieben wird, von den Sachen, in
welche die Realität der Eigenschaften (des ersten Positi-
ven) zurück verlegt wird.

Die Wanderung der Realität aus den Eigenschaften
in die Sachen ist nur der erste Schritt zu einer weiteren
Reise. Auf höhern Bildungsstufen entsteht die Frage
nach der Einfachheit der Stoffe. Wie vorhin den Ei-
genschaften die Sachen, so werden jetzt den Sachen die
Elemente entgegengesetzt; diese sind nun das wahre
Reale; von ihnen haben die Sachen eine geliehene
Realität, nicht anders als vorhin die Eigenschaften von
den Sachen.

Die Elemente, Feuer, Wasser, Luft, Erde, --
müssen sich weiterhin die Versuche des Chemikers ge-
fallen lassen. Nun werden Sauerstoff, Wasserstoff, Stick-
stoff, das Reale; hingegen Wasser und Luft, vorhin

menschliche Auffassung der Welt im Werden
begriffen ist
.

Daraus folgt dann sogleich, daſs auch die Täu-
schungen, die in diesem Werden nach einan-
der entstehen, sehr mannigfaltig, daſs sie den
verschiedenen Bildungsstufen angemessen sind,
welche successiv erreicht werden
; daſs sie also
in kein Register, etwa von Antinomieen der reinen
Vernunft, sich einschlieſsen lassen.

§. 141.

Ursprünglich ist jede Wahrnehmung (wie roth, blau,
süſs, sauer,) rein positiv, oder affirmativ; sie stellt daher
ihr Object nicht als Merkmal oder Eigenschaft eines Din-
ges, sondern gerade so dar, wie es bleiben müſste, wenn
ihm das Seyn sollte zugeschrieben werden. (Vergl. Haupt-
puncte der Metaphysik §. 1.)

Auf den gegenseitigen Hemmungen der Vorstellun-
gen unter einander beruhen die Negationen, und die
Zweifel, ob auch das Wahrgenommene sey oder nicht
sey; endlich die Unterscheidungen der Eigenschaften, de-
nen nur ein inhärentes Seyn, und eben darum kein wah-
res
Seyn zugeschrieben wird, von den Sachen, in
welche die Realität der Eigenschaften (des ersten Positi-
ven) zurück verlegt wird.

Die Wanderung der Realität aus den Eigenschaften
in die Sachen ist nur der erste Schritt zu einer weiteren
Reise. Auf höhern Bildungsstufen entsteht die Frage
nach der Einfachheit der Stoffe. Wie vorhin den Ei-
genschaften die Sachen, so werden jetzt den Sachen die
Elemente entgegengesetzt; diese sind nun das wahre
Reale; von ihnen haben die Sachen eine geliehene
Realität, nicht anders als vorhin die Eigenschaften von
den Sachen.

Die Elemente, Feuer, Wasser, Luft, Erde, —
müssen sich weiterhin die Versuche des Chemikers ge-
fallen lassen. Nun werden Sauerstoff, Wasserstoff, Stick-
stoff, das Reale; hingegen Wasser und Luft, vorhin

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[310/0345] menschliche Auffassung der Welt im Werden begriffen ist. Daraus folgt dann sogleich, daſs auch die Täu- schungen, die in diesem Werden nach einan- der entstehen, sehr mannigfaltig, daſs sie den verschiedenen Bildungsstufen angemessen sind, welche successiv erreicht werden; daſs sie also in kein Register, etwa von Antinomieen der reinen Vernunft, sich einschlieſsen lassen. §. 141. Ursprünglich ist jede Wahrnehmung (wie roth, blau, süſs, sauer,) rein positiv, oder affirmativ; sie stellt daher ihr Object nicht als Merkmal oder Eigenschaft eines Din- ges, sondern gerade so dar, wie es bleiben müſste, wenn ihm das Seyn sollte zugeschrieben werden. (Vergl. Haupt- puncte der Metaphysik §. 1.) Auf den gegenseitigen Hemmungen der Vorstellun- gen unter einander beruhen die Negationen, und die Zweifel, ob auch das Wahrgenommene sey oder nicht sey; endlich die Unterscheidungen der Eigenschaften, de- nen nur ein inhärentes Seyn, und eben darum kein wah- res Seyn zugeschrieben wird, von den Sachen, in welche die Realität der Eigenschaften (des ersten Positi- ven) zurück verlegt wird. Die Wanderung der Realität aus den Eigenschaften in die Sachen ist nur der erste Schritt zu einer weiteren Reise. Auf höhern Bildungsstufen entsteht die Frage nach der Einfachheit der Stoffe. Wie vorhin den Ei- genschaften die Sachen, so werden jetzt den Sachen die Elemente entgegengesetzt; diese sind nun das wahre Reale; von ihnen haben die Sachen eine geliehene Realität, nicht anders als vorhin die Eigenschaften von den Sachen. Die Elemente, Feuer, Wasser, Luft, Erde, — müssen sich weiterhin die Versuche des Chemikers ge- fallen lassen. Nun werden Sauerstoff, Wasserstoff, Stick- stoff, das Reale; hingegen Wasser und Luft, vorhin

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/345>, abgerufen am 19.03.2024.