Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Weise unter einander verbundenen Vorstellungen, --
sich die Möglichkeit jener Verrückung hinreichend er-
kennen lasse. Und hiemit sind wir an diejenige Gränze
unsrer ganzen Abhandlung gelangt, die wir uns gleich
Anfangs gesteckt hatten. Das Ich sollte unsre Arbeit
anfangen und endigen, es sollte gleichsam dem Rahmen
hergeben, mit dem wir sie einfassen wollten. Der abs-
tracte Begriff des Ich, wie ihn die Speculation auffasst,
ehe sie noch seine Beziehungen kennt, gab uns den An-
fangspunct; erst nach einem langen Laufe der Untersu-
chung konnten wir mit Erfolg die Analysis des Selbstbe-
wusstseyns vornehmen, und am Schlusse beschäfftigten
uns dessen Mängel im Traume und Verrückungen in
Krankheitszuständen.

Da wir jedoch auf unserm Wege weit mehrere Ge-
genstände, als nur das Selbstbewusstseyn, berührt haben,
so wird es erlaubt seyn, noch einige wenige Schritte über
die gesteckte Gränze hinaus zu thun, um in jeder Rück-
sicht zum Schlusse zu gelangen.

§. 166.

Zuvörderst noch einige Betrachtungen über Geistes-
zerrüttungen. Ich knüpfe dieselben an die Eintheilung,
welche Pinel in seinem traite sur l'alienation mentale*),
und mit weniger Veränderung Reil**) gegeben haben.
Der letzte unterscheidet fixen Wahn, Tobsucht,
Narrheit
und Blödsinn, indem er Pinel's drittes
Theilungsglied, eine Complication der beyden ersten,
weglässt. Wir können also die noch übrigen vier Glie-
der als eine, von beyden gemeinschaftlich vestgesetzte
Classification, zwar nicht der Kranken, wohl aber der
Begriffe, unter welchen die Krankheiten zu subsu-
miren seyen, annehmen. Und in der That sind die Un-
terscheidungsmerkmale sehr bestimmt und brauchbar auch
für die philosophische Betrachtung.

*) S. 137. bis 176.
**) a. a. O. S. 305.

Weise unter einander verbundenen Vorstellungen, —
sich die Möglichkeit jener Verrückung hinreichend er-
kennen lasse. Und hiemit sind wir an diejenige Gränze
unsrer ganzen Abhandlung gelangt, die wir uns gleich
Anfangs gesteckt hatten. Das Ich sollte unsre Arbeit
anfangen und endigen, es sollte gleichsam dem Rahmen
hergeben, mit dem wir sie einfassen wollten. Der abs-
tracte Begriff des Ich, wie ihn die Speculation auffaſst,
ehe sie noch seine Beziehungen kennt, gab uns den An-
fangspunct; erst nach einem langen Laufe der Untersu-
chung konnten wir mit Erfolg die Analysis des Selbstbe-
wuſstseyns vornehmen, und am Schlusse beschäfftigten
uns dessen Mängel im Traume und Verrückungen in
Krankheitszuständen.

Da wir jedoch auf unserm Wege weit mehrere Ge-
genstände, als nur das Selbstbewuſstseyn, berührt haben,
so wird es erlaubt seyn, noch einige wenige Schritte über
die gesteckte Gränze hinaus zu thun, um in jeder Rück-
sicht zum Schlusse zu gelangen.

§. 166.

Zuvörderst noch einige Betrachtungen über Geistes-
zerrüttungen. Ich knüpfe dieselben an die Eintheilung,
welche Pinel in seinem traité ſur l’aliénation mentale*),
und mit weniger Veränderung Reil**) gegeben haben.
Der letzte unterscheidet fixen Wahn, Tobsucht,
Narrheit
und Blödsinn, indem er Pinel’s drittes
Theilungsglied, eine Complication der beyden ersten,
wegläſst. Wir können also die noch übrigen vier Glie-
der als eine, von beyden gemeinschaftlich vestgesetzte
Classification, zwar nicht der Kranken, wohl aber der
Begriffe, unter welchen die Krankheiten zu subsu-
miren seyen, annehmen. Und in der That sind die Un-
terscheidungsmerkmale sehr bestimmt und brauchbar auch
für die philosophische Betrachtung.

*) S. 137. bis 176.
**) a. a. O. S. 305.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0549" n="514"/>
Weise unter einander verbundenen Vorstellungen, &#x2014;<lb/>
sich die Möglichkeit jener Verrückung hinreichend er-<lb/>
kennen lasse. Und hiemit sind wir an diejenige Gränze<lb/>
unsrer ganzen Abhandlung gelangt, die wir uns gleich<lb/>
Anfangs gesteckt hatten. Das Ich sollte unsre Arbeit<lb/>
anfangen und endigen, es sollte gleichsam dem Rahmen<lb/>
hergeben, mit dem wir sie einfassen wollten. Der abs-<lb/>
tracte Begriff des Ich, wie ihn die Speculation auffa&#x017F;st,<lb/>
ehe sie noch seine Beziehungen kennt, gab uns den An-<lb/>
fangspunct; erst nach einem langen Laufe der Untersu-<lb/>
chung konnten wir mit Erfolg die Analysis des Selbstbe-<lb/>
wu&#x017F;stseyns vornehmen, und am Schlusse beschäfftigten<lb/>
uns dessen Mängel im Traume und Verrückungen in<lb/>
Krankheitszuständen.</p><lb/>
              <p>Da wir jedoch auf unserm Wege weit mehrere Ge-<lb/>
genstände, als nur das Selbstbewu&#x017F;stseyn, berührt haben,<lb/>
so wird es erlaubt seyn, noch einige wenige Schritte über<lb/>
die gesteckte Gränze hinaus zu thun, um in jeder Rück-<lb/>
sicht zum Schlusse zu gelangen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 166.</head><lb/>
              <p>Zuvörderst noch einige Betrachtungen über Geistes-<lb/>
zerrüttungen. Ich knüpfe dieselben an die Eintheilung,<lb/>
welche <hi rendition="#g">Pinel</hi> in seinem <hi rendition="#i">traité &#x017F;ur l&#x2019;aliénation mentale</hi><note place="foot" n="*)">S. 137. bis 176.</note>,<lb/>
und mit weniger Veränderung <hi rendition="#g">Reil</hi><note place="foot" n="**)">a. a. O. S. 305.</note> gegeben haben.<lb/>
Der letzte unterscheidet <hi rendition="#g">fixen Wahn, Tobsucht,<lb/>
Narrheit</hi> und <hi rendition="#g">Blödsinn</hi>, indem er <hi rendition="#g">Pinel&#x2019;s</hi> drittes<lb/>
Theilungsglied, eine Complication der beyden ersten,<lb/>
weglä&#x017F;st. Wir können also die noch übrigen vier Glie-<lb/>
der als eine, von beyden gemeinschaftlich vestgesetzte<lb/>
Classification, zwar nicht der <hi rendition="#g">Kranken</hi>, wohl aber der<lb/><hi rendition="#g">Begriffe</hi>, unter welchen die <hi rendition="#g">Krankheiten</hi> zu subsu-<lb/>
miren seyen, annehmen. Und in der That sind die Un-<lb/>
terscheidungsmerkmale sehr bestimmt und brauchbar auch<lb/>
für die philosophische Betrachtung.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[514/0549] Weise unter einander verbundenen Vorstellungen, — sich die Möglichkeit jener Verrückung hinreichend er- kennen lasse. Und hiemit sind wir an diejenige Gränze unsrer ganzen Abhandlung gelangt, die wir uns gleich Anfangs gesteckt hatten. Das Ich sollte unsre Arbeit anfangen und endigen, es sollte gleichsam dem Rahmen hergeben, mit dem wir sie einfassen wollten. Der abs- tracte Begriff des Ich, wie ihn die Speculation auffaſst, ehe sie noch seine Beziehungen kennt, gab uns den An- fangspunct; erst nach einem langen Laufe der Untersu- chung konnten wir mit Erfolg die Analysis des Selbstbe- wuſstseyns vornehmen, und am Schlusse beschäfftigten uns dessen Mängel im Traume und Verrückungen in Krankheitszuständen. Da wir jedoch auf unserm Wege weit mehrere Ge- genstände, als nur das Selbstbewuſstseyn, berührt haben, so wird es erlaubt seyn, noch einige wenige Schritte über die gesteckte Gränze hinaus zu thun, um in jeder Rück- sicht zum Schlusse zu gelangen. §. 166. Zuvörderst noch einige Betrachtungen über Geistes- zerrüttungen. Ich knüpfe dieselben an die Eintheilung, welche Pinel in seinem traité ſur l’aliénation mentale *), und mit weniger Veränderung Reil **) gegeben haben. Der letzte unterscheidet fixen Wahn, Tobsucht, Narrheit und Blödsinn, indem er Pinel’s drittes Theilungsglied, eine Complication der beyden ersten, wegläſst. Wir können also die noch übrigen vier Glie- der als eine, von beyden gemeinschaftlich vestgesetzte Classification, zwar nicht der Kranken, wohl aber der Begriffe, unter welchen die Krankheiten zu subsu- miren seyen, annehmen. Und in der That sind die Un- terscheidungsmerkmale sehr bestimmt und brauchbar auch für die philosophische Betrachtung. *) S. 137. bis 176. **) a. a. O. S. 305.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/549
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/549>, abgerufen am 19.03.2024.