Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

verein ansehn, dass er sich unter einem Drucke stärkerer
Kräfte gebildet hat. Die bürgerliche Gleichheit ist kein
ursprüngliches Natur-Product; die natürlichen Ungleich-
heiten sind nicht bloss an sich zu gross, sondern sie
wachsen durch die angegebenen psychologischen Gründe
in ihren Folgen immer höher; und es findet sich keine
Gegenkraft, welche eine rückgängige Bewegung hervor-
bringen könnte. Republiken sind nur möglich, wenn ein
Druck vorhanden war, der zwar späterhin verschwunden
ist, aber erst, nachdem er die Ungleichheiten zurück ge-
drängt, und den Boden gleichsam geebnet hatte; also
wenn der Bürgerverein bleibt, nachdem das regierende
Haus entweder unterging, oder sonst irgendwie von ihm
getrennt wurde. Auch muss die bürgerliche Gleichheit
immer mit Absicht, mit gutem Willen oder mit Kunst,
erhalten werden, oder sie hört bald auf; denn sie hat
stets den inneren Widerstand zu überwinden, den die
wahre, noch vorhandene oder neu entstandene Ungleich-
heit der Bürger entgegensetzt, die sich ins Gleichgewicht
zu setzen sucht. Darum ist das Leben in Republiken an
gar manche Beschränkungen gebunden, die in Monarchien
wegfallen. Man vergleiche z. B. Montesquieu im esprit
des loix, liv. V., chap.
5. u. s. w.

8) Wird aber der Bürgerverein dem Fürsten zu
mächtig: so ist natürlich, dass er nun auch dem Adel
eine innere Verknüpfung zu geben, ihn in ein Corps zu
verwandeln sucht. Es ist aber diese Verknüpfung nicht
bloss die spätere, sondern auch weit weniger innig. Denn
persönliches Selbstgefühl des Individuums liegt in der
Natur des Adels; auch sind seine Glieder weniger zahl-
reich, und der Gewinn der Verbindung nicht so gross
als bey den Bürgern durch ihre Menge.

Anmerkung.

Wenn der Fürst beyde corpora hatte bilden helfen,
und er alsdann verschwindet: so sollte die Aristokratie
an seine Stelle treten. Aber aus obigem Grunde wird

verein ansehn, daſs er sich unter einem Drucke stärkerer
Kräfte gebildet hat. Die bürgerliche Gleichheit ist kein
ursprüngliches Natur-Product; die natürlichen Ungleich-
heiten sind nicht bloſs an sich zu groſs, sondern sie
wachsen durch die angegebenen psychologischen Gründe
in ihren Folgen immer höher; und es findet sich keine
Gegenkraft, welche eine rückgängige Bewegung hervor-
bringen könnte. Republiken sind nur möglich, wenn ein
Druck vorhanden war, der zwar späterhin verschwunden
ist, aber erst, nachdem er die Ungleichheiten zurück ge-
drängt, und den Boden gleichsam geebnet hatte; also
wenn der Bürgerverein bleibt, nachdem das regierende
Haus entweder unterging, oder sonst irgendwie von ihm
getrennt wurde. Auch muſs die bürgerliche Gleichheit
immer mit Absicht, mit gutem Willen oder mit Kunst,
erhalten werden, oder sie hört bald auf; denn sie hat
stets den inneren Widerstand zu überwinden, den die
wahre, noch vorhandene oder neu entstandene Ungleich-
heit der Bürger entgegensetzt, die sich ins Gleichgewicht
zu setzen sucht. Darum ist das Leben in Republiken an
gar manche Beschränkungen gebunden, die in Monarchien
wegfallen. Man vergleiche z. B. Montesquieu im esprit
des loix, liv. V., chap.
5. u. s. w.

8) Wird aber der Bürgerverein dem Fürsten zu
mächtig: so ist natürlich, daſs er nun auch dem Adel
eine innere Verknüpfung zu geben, ihn in ein Corps zu
verwandeln sucht. Es ist aber diese Verknüpfung nicht
bloſs die spätere, sondern auch weit weniger innig. Denn
persönliches Selbstgefühl des Individuums liegt in der
Natur des Adels; auch sind seine Glieder weniger zahl-
reich, und der Gewinn der Verbindung nicht so groſs
als bey den Bürgern durch ihre Menge.

Anmerkung.

Wenn der Fürst beyde corpora hatte bilden helfen,
und er alsdann verschwindet: so sollte die Aristokratie
an seine Stelle treten. Aber aus obigem Grunde wird

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0057" n="22"/>
verein ansehn, da&#x017F;s er sich unter einem Drucke stärkerer<lb/>
Kräfte gebildet hat. Die bürgerliche Gleichheit ist kein<lb/>
ursprüngliches Natur-Product; die natürlichen Ungleich-<lb/>
heiten sind nicht blo&#x017F;s an sich zu gro&#x017F;s, sondern sie<lb/>
wachsen durch die angegebenen psychologischen Gründe<lb/>
in ihren Folgen immer höher; und es findet sich keine<lb/>
Gegenkraft, welche eine rückgängige Bewegung hervor-<lb/>
bringen könnte. Republiken sind nur möglich, wenn ein<lb/>
Druck vorhanden war, der zwar späterhin verschwunden<lb/>
ist, aber erst, nachdem er die Ungleichheiten zurück ge-<lb/>
drängt, und den Boden gleichsam geebnet hatte; also<lb/>
wenn der Bürgerverein bleibt, nachdem das regierende<lb/>
Haus entweder unterging, oder sonst irgendwie von ihm<lb/>
getrennt wurde. Auch mu&#x017F;s die bürgerliche Gleichheit<lb/>
immer mit Absicht, mit gutem Willen oder mit Kunst,<lb/>
erhalten werden, oder sie hört bald auf; denn sie hat<lb/>
stets den inneren Widerstand zu überwinden, den die<lb/>
wahre, noch vorhandene oder neu entstandene Ungleich-<lb/>
heit der Bürger entgegensetzt, die sich ins Gleichgewicht<lb/>
zu setzen sucht. Darum ist das Leben in Republiken an<lb/>
gar manche Beschränkungen gebunden, die in Monarchien<lb/>
wegfallen. Man vergleiche z. B. <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> im <hi rendition="#i">esprit<lb/>
des loix, liv. V., chap.</hi> 5. u. s. w.</p><lb/>
            <p>8) Wird aber der Bürgerverein dem Fürsten zu<lb/>
mächtig: so ist natürlich, da&#x017F;s er nun auch dem Adel<lb/>
eine innere Verknüpfung zu geben, ihn in ein <hi rendition="#i">Corps</hi> zu<lb/>
verwandeln sucht. Es ist aber diese Verknüpfung nicht<lb/>
blo&#x017F;s die spätere, sondern auch weit weniger innig. Denn<lb/>
persönliches Selbstgefühl des Individuums liegt in der<lb/>
Natur des Adels; auch sind seine Glieder weniger zahl-<lb/>
reich, und der Gewinn der Verbindung nicht so gro&#x017F;s<lb/>
als bey den Bürgern durch ihre Menge.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>.</head><lb/>
            <p>Wenn der Fürst beyde <hi rendition="#i">corpora</hi> hatte bilden helfen,<lb/>
und er alsdann verschwindet: so sollte die Aristokratie<lb/>
an seine Stelle treten. Aber aus obigem Grunde wird<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0057] verein ansehn, daſs er sich unter einem Drucke stärkerer Kräfte gebildet hat. Die bürgerliche Gleichheit ist kein ursprüngliches Natur-Product; die natürlichen Ungleich- heiten sind nicht bloſs an sich zu groſs, sondern sie wachsen durch die angegebenen psychologischen Gründe in ihren Folgen immer höher; und es findet sich keine Gegenkraft, welche eine rückgängige Bewegung hervor- bringen könnte. Republiken sind nur möglich, wenn ein Druck vorhanden war, der zwar späterhin verschwunden ist, aber erst, nachdem er die Ungleichheiten zurück ge- drängt, und den Boden gleichsam geebnet hatte; also wenn der Bürgerverein bleibt, nachdem das regierende Haus entweder unterging, oder sonst irgendwie von ihm getrennt wurde. Auch muſs die bürgerliche Gleichheit immer mit Absicht, mit gutem Willen oder mit Kunst, erhalten werden, oder sie hört bald auf; denn sie hat stets den inneren Widerstand zu überwinden, den die wahre, noch vorhandene oder neu entstandene Ungleich- heit der Bürger entgegensetzt, die sich ins Gleichgewicht zu setzen sucht. Darum ist das Leben in Republiken an gar manche Beschränkungen gebunden, die in Monarchien wegfallen. Man vergleiche z. B. Montesquieu im esprit des loix, liv. V., chap. 5. u. s. w. 8) Wird aber der Bürgerverein dem Fürsten zu mächtig: so ist natürlich, daſs er nun auch dem Adel eine innere Verknüpfung zu geben, ihn in ein Corps zu verwandeln sucht. Es ist aber diese Verknüpfung nicht bloſs die spätere, sondern auch weit weniger innig. Denn persönliches Selbstgefühl des Individuums liegt in der Natur des Adels; auch sind seine Glieder weniger zahl- reich, und der Gewinn der Verbindung nicht so groſs als bey den Bürgern durch ihre Menge. Anmerkung. Wenn der Fürst beyde corpora hatte bilden helfen, und er alsdann verschwindet: so sollte die Aristokratie an seine Stelle treten. Aber aus obigem Grunde wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/57
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/57>, abgerufen am 19.03.2024.