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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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nur, welche Modificationen die dortige allgemeine Unter-
suchung annehmen könne und müsse, um die gesuchten
Erklärungen zu liefern. So viel leuchtet gleich von selbst
ein, dass eine geringe Anzahl von Vorstellungen, wie die
dortige P, p, p', p", u. s. w. und eine eben so kleine
Anzahl bestimmt verschiedener Reste r, r', r", u. s. w.,
hier nicht zureichen könne; denn beym sinnlichen Auf-
fassen des Räumlichen giebt jede kleinste, farbigte oder
betastbare, Stelle, ihre eigne Vorstellung; und jede Vor-
stellung verschmilzt mit allen andern. Es muss also die
Anwendung jener allgemeinen Lehren eine unermessliche
Mannigfaltigkeit in sich schliessen.

Nun ist es gewiss, dass, während wir sehen und
tasten, eine unermessliche Menge, nicht bloss von Vor-
stellungen
, sondern auch für jede einzelne unter ihnen,
(wenn man anders eine einzelne herausheben kann, wel-
ches z. B. beym Anblick des gestirnten Himmels, unter
Voraussetzung eines guten Auges, allerdings eintritt,)
eine unermessliche Menge von Abstufungen ihres
Verschmelzens
mit den übrigen entsteht. Folglich ist
so viel unzweifelhaft, dass wirklich die Reproductionsge-
setze, welche in der Mechanik nachgewiesen worden, hier
zur Anwendung kommen. Gesetzt demnach, wir dächten
nicht daran, eine Erklärung des räumlichen Vorstellens
zu suchen: so müssten wir doch schon der Theorie we-
gen, und bloss a priori, irgend eine Folge von diesen
Reproductionsgesetzen, die nicht unterlassen könne, im
empirischen Bewusstseyn merklich zu werden, erwar-
ten und durch die innere Erfahrung aufzufinden uns
bemühen.

Unter welchen Bedingungen aber entstehn die ver-
schiedenen Abstufungen des Verschmelzens einer jeden
Vorstellung mit allen übrigen? -- und unter welcher
neuen Bedingung gelangen die aus den verschiedenen
Abstufungen entstandenen Reproductionsgesetze zur Wirk-
samkeit?

Die ganz einfache Antwort auf beydes zugleich ist:

nur, welche Modificationen die dortige allgemeine Unter-
suchung annehmen könne und müsse, um die gesuchten
Erklärungen zu liefern. So viel leuchtet gleich von selbst
ein, daſs eine geringe Anzahl von Vorstellungen, wie die
dortige P, π, π′, π″, u. s. w. und eine eben so kleine
Anzahl bestimmt verschiedener Reste r, r′, r″, u. s. w.,
hier nicht zureichen könne; denn beym sinnlichen Auf-
fassen des Räumlichen giebt jede kleinste, farbigte oder
betastbare, Stelle, ihre eigne Vorstellung; und jede Vor-
stellung verschmilzt mit allen andern. Es muſs also die
Anwendung jener allgemeinen Lehren eine unermeſsliche
Mannigfaltigkeit in sich schlieſsen.

Nun ist es gewiſs, daſs, während wir sehen und
tasten, eine unermeſsliche Menge, nicht bloſs von Vor-
stellungen
, sondern auch für jede einzelne unter ihnen,
(wenn man anders eine einzelne herausheben kann, wel-
ches z. B. beym Anblick des gestirnten Himmels, unter
Voraussetzung eines guten Auges, allerdings eintritt,)
eine unermeſsliche Menge von Abstufungen ihres
Verschmelzens
mit den übrigen entsteht. Folglich ist
so viel unzweifelhaft, daſs wirklich die Reproductionsge-
setze, welche in der Mechanik nachgewiesen worden, hier
zur Anwendung kommen. Gesetzt demnach, wir dächten
nicht daran, eine Erklärung des räumlichen Vorstellens
zu suchen: so müſsten wir doch schon der Theorie we-
gen, und bloſs a priori, irgend eine Folge von diesen
Reproductionsgesetzen, die nicht unterlassen könne, im
empirischen Bewuſstseyn merklich zu werden, erwar-
ten und durch die innere Erfahrung aufzufinden uns
bemühen.

Unter welchen Bedingungen aber entstehn die ver-
schiedenen Abstufungen des Verschmelzens einer jeden
Vorstellung mit allen übrigen? — und unter welcher
neuen Bedingung gelangen die aus den verschiedenen
Abstufungen entstandenen Reproductionsgesetze zur Wirk-
samkeit?

Die ganz einfache Antwort auf beydes zugleich ist:

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[126/0161] nur, welche Modificationen die dortige allgemeine Unter- suchung annehmen könne und müsse, um die gesuchten Erklärungen zu liefern. So viel leuchtet gleich von selbst ein, daſs eine geringe Anzahl von Vorstellungen, wie die dortige P, π, π′, π″, u. s. w. und eine eben so kleine Anzahl bestimmt verschiedener Reste r, r′, r″, u. s. w., hier nicht zureichen könne; denn beym sinnlichen Auf- fassen des Räumlichen giebt jede kleinste, farbigte oder betastbare, Stelle, ihre eigne Vorstellung; und jede Vor- stellung verschmilzt mit allen andern. Es muſs also die Anwendung jener allgemeinen Lehren eine unermeſsliche Mannigfaltigkeit in sich schlieſsen. Nun ist es gewiſs, daſs, während wir sehen und tasten, eine unermeſsliche Menge, nicht bloſs von Vor- stellungen, sondern auch für jede einzelne unter ihnen, (wenn man anders eine einzelne herausheben kann, wel- ches z. B. beym Anblick des gestirnten Himmels, unter Voraussetzung eines guten Auges, allerdings eintritt,) eine unermeſsliche Menge von Abstufungen ihres Verschmelzens mit den übrigen entsteht. Folglich ist so viel unzweifelhaft, daſs wirklich die Reproductionsge- setze, welche in der Mechanik nachgewiesen worden, hier zur Anwendung kommen. Gesetzt demnach, wir dächten nicht daran, eine Erklärung des räumlichen Vorstellens zu suchen: so müſsten wir doch schon der Theorie we- gen, und bloſs a priori, irgend eine Folge von diesen Reproductionsgesetzen, die nicht unterlassen könne, im empirischen Bewuſstseyn merklich zu werden, erwar- ten und durch die innere Erfahrung aufzufinden uns bemühen. Unter welchen Bedingungen aber entstehn die ver- schiedenen Abstufungen des Verschmelzens einer jeden Vorstellung mit allen übrigen? — und unter welcher neuen Bedingung gelangen die aus den verschiedenen Abstufungen entstandenen Reproductionsgesetze zur Wirk- samkeit? Die ganz einfache Antwort auf beydes zugleich ist:

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/161>, abgerufen am 29.03.2024.