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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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zurückgebliebenen Seelen-Zustand von allen andern, die
durch eine andere Succession der nämlichen Wahrneh-
mungen konnten hervorgebracht werden? Ja was bewirkt
eine so feine Unterscheidung, dass wir sogar den Rhyth-
mus, in welchem die gegebene Reihe der Wahrnehmun-
gen fortschritt, mit aufbehalten?

Um die Antwort zu finden, überlegen wir zuerst
bloss die Art der Verschmelzung für zwey auf einander
folgende Wahrnehmungen; und halten uns der Kürze
wegen an die Formel: [Formel 1] , im §. 86.,
worin das Wesentlichste dessen, was die nachfolgenden
Untersuchungen lehren, gleichsam vorbedeutet ist.

Die Wahrnehmung P gehe voran; die Wahrneh-
mung P folge nach. Jede von beyden besteht aus einer
Menge von momentanen Auffassungen während der Dauer
des Auffassens. Jede momentane Auffassung von P be-
ginnt augenblicklich zu sinken, nachdem sie gegeben
war; (§. 95.) und alle sind um etwas gesunken, -- die
frühern mehr als die späteren, indem P eintritt. Die
momentanen Auffassungen von P sind im ungehemmten
Zustande, indem sie schon anfangen, mit den zum Theil
gehemmten von P zu verschmelzen. Folglich ist gewiss
am Ende, der Rest r von P, grösser als der mit ihm
verschmolzene Rest r von P; wenn wir übrigens P und P
gleich setzen. Nun mögen beyde Vorstellungen im Be-
wusstseyn sinken. Gesetzt aber, es erhebe sich eine von
beyden aufs neue: so wird ein Unterschied seyn in der
Reproduction der einen durch die andre, je nachdem sich
P oder P wieder erhob.

P trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum r
zu reproduciren, die Kraft aber, die es anwendet, ist
nur = r. Diese schwache Kraft soll ein grosses
Werk vollbringen; dazu nimmt sie sich viel
Zeit
, wie in der Formel zu erkennen ist.

P trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum r zu
reproduciren. Die Kraft, die es dazu anwendet, ist = r;

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zurückgebliebenen Seelen-Zustand von allen andern, die
durch eine andere Succession der nämlichen Wahrneh-
mungen konnten hervorgebracht werden? Ja was bewirkt
eine so feine Unterscheidung, daſs wir sogar den Rhyth-
mus, in welchem die gegebene Reihe der Wahrnehmun-
gen fortschritt, mit aufbehalten?

Um die Antwort zu finden, überlegen wir zuerst
bloſs die Art der Verschmelzung für zwey auf einander
folgende Wahrnehmungen; und halten uns der Kürze
wegen an die Formel: [Formel 1] , im §. 86.,
worin das Wesentlichste dessen, was die nachfolgenden
Untersuchungen lehren, gleichsam vorbedeutet ist.

Die Wahrnehmung P gehe voran; die Wahrneh-
mung Π folge nach. Jede von beyden besteht aus einer
Menge von momentanen Auffassungen während der Dauer
des Auffassens. Jede momentane Auffassung von P be-
ginnt augenblicklich zu sinken, nachdem sie gegeben
war; (§. 95.) und alle sind um etwas gesunken, — die
frühern mehr als die späteren, indem Π eintritt. Die
momentanen Auffassungen von Π sind im ungehemmten
Zustande, indem sie schon anfangen, mit den zum Theil
gehemmten von P zu verschmelzen. Folglich ist gewiſs
am Ende, der Rest ρ von Π, gröſser als der mit ihm
verschmolzene Rest r von P; wenn wir übrigens P und Π
gleich setzen. Nun mögen beyde Vorstellungen im Be-
wuſstseyn sinken. Gesetzt aber, es erhebe sich eine von
beyden aufs neue: so wird ein Unterschied seyn in der
Reproduction der einen durch die andre, je nachdem sich
P oder Π wieder erhob.

P trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum ρ
zu reproduciren, die Kraft aber, die es anwendet, ist
nur = r. Diese schwache Kraft soll ein groſses
Werk vollbringen; dazu nimmt sie sich viel
Zeit
, wie in der Formel zu erkennen ist.

Π trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum r zu
reproduciren. Die Kraft, die es dazu anwendet, ist = ρ;

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[131/0166] zurückgebliebenen Seelen-Zustand von allen andern, die durch eine andere Succession der nämlichen Wahrneh- mungen konnten hervorgebracht werden? Ja was bewirkt eine so feine Unterscheidung, daſs wir sogar den Rhyth- mus, in welchem die gegebene Reihe der Wahrnehmun- gen fortschritt, mit aufbehalten? Um die Antwort zu finden, überlegen wir zuerst bloſs die Art der Verschmelzung für zwey auf einander folgende Wahrnehmungen; und halten uns der Kürze wegen an die Formel: [FORMEL], im §. 86., worin das Wesentlichste dessen, was die nachfolgenden Untersuchungen lehren, gleichsam vorbedeutet ist. Die Wahrnehmung P gehe voran; die Wahrneh- mung Π folge nach. Jede von beyden besteht aus einer Menge von momentanen Auffassungen während der Dauer des Auffassens. Jede momentane Auffassung von P be- ginnt augenblicklich zu sinken, nachdem sie gegeben war; (§. 95.) und alle sind um etwas gesunken, — die frühern mehr als die späteren, indem Π eintritt. Die momentanen Auffassungen von Π sind im ungehemmten Zustande, indem sie schon anfangen, mit den zum Theil gehemmten von P zu verschmelzen. Folglich ist gewiſs am Ende, der Rest ρ von Π, gröſser als der mit ihm verschmolzene Rest r von P; wenn wir übrigens P und Π gleich setzen. Nun mögen beyde Vorstellungen im Be- wuſstseyn sinken. Gesetzt aber, es erhebe sich eine von beyden aufs neue: so wird ein Unterschied seyn in der Reproduction der einen durch die andre, je nachdem sich P oder Π wieder erhob. P trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum ρ zu reproduciren, die Kraft aber, die es anwendet, ist nur = r. Diese schwache Kraft soll ein groſses Werk vollbringen; dazu nimmt sie sich viel Zeit, wie in der Formel zu erkennen ist. Π trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum r zu reproduciren. Die Kraft, die es dazu anwendet, ist = ρ; I 2

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/166>, abgerufen am 28.03.2024.