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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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reicht ihnen, in wiefern sie eben nur Geometer seyn
wollen, nicht zum Vorwurf. Dass aber selbst die Meta-
physiker dabey sorglos bleiben, oder sich mit leeren Aus-
flüchten behelfen, das verzeiht ihnen ihre Wissenschaft
nicht; sondern sie büssen ihre Nachlässigkeit durch ein
Heer von Irrthümern, ja von falsch gestellten Fragen und
im Keime verdorbenen Untersuchungen. Als Beyspiel
darf ich nur die Versuche nennen, die Succession der
Weltbegebenheiten zu erklären. --

Am Schlusse dieses Paragraphen muss ich noch ei-
nem Anstosse vorbeugen, welcher dem aufmerksamen Le-
sar dieses Buchs bey der Vergleichung mit den öfter an-
geführten Schriften, die mit der gegenwärtigen gewisser-
maassen Ein Ganzes ausmachen, wohl begegnen könnte.

Nämlich in den Hauptpuncten der Metaphysik, und
in der Abhandlung über die Elementar-Attraction habe
ich nachgewiesen, dass der Begriff der Bewegung, oder
eigentlich der in ihm liegende der Geschwindigkeit, von
Widersprüchen gar nicht zu befreyen ist; dass dieses
aber unschädlich ist, weil die Bewegung kein reales Prä-
dicat der Wesen darbietet. Nun könnte Jemand auf den
Gedanken kommen, eine solche Erläuterung passe zwar
auf die räumliche Bewegung, aber nicht auf die Bewe-
gung der Vorstellungen, wodurch reale Zustände der
Seele ausgedrückt werden, auf welche man keine wider-
sprechenden Begriffe übertragen dürfe. Hierauf ist zu
erwiedern, dass der Schein des Widerspruchs nur daher
rührt, weil wir das Steigen und Sinken der Vorstellun-
gen nicht anders als mit Hülfe räumlicher Symbole be-
zeichnen können. Allein während wir dem Raume das
Aneinander, als sein Element und zugleich als sein Maass,
zum Grunde legen müssen, gegen welches weiterhin so-
wohl die Irrationalgrössen als die Bestimmungen der Ge-
schwindigkeit, unvermeidliche Widersprüche bilden, --
so giebt es dagegen für die sogenannten Bewegungen
der Vorstellungen gar keine solche elementarische Grösse,
die bey ihnen zum allgemeinen Vergleichungspuncte die-

reicht ihnen, in wiefern sie eben nur Geometer seyn
wollen, nicht zum Vorwurf. Daſs aber selbst die Meta-
physiker dabey sorglos bleiben, oder sich mit leeren Aus-
flüchten behelfen, das verzeiht ihnen ihre Wissenschaft
nicht; sondern sie büſsen ihre Nachlässigkeit durch ein
Heer von Irrthümern, ja von falsch gestellten Fragen und
im Keime verdorbenen Untersuchungen. Als Beyspiel
darf ich nur die Versuche nennen, die Succession der
Weltbegebenheiten zu erklären. —

Am Schlusse dieses Paragraphen muſs ich noch ei-
nem Anstoſse vorbeugen, welcher dem aufmerksamen Le-
sar dieses Buchs bey der Vergleichung mit den öfter an-
geführten Schriften, die mit der gegenwärtigen gewisser-
maaſsen Ein Ganzes ausmachen, wohl begegnen könnte.

Nämlich in den Hauptpuncten der Metaphysik, und
in der Abhandlung über die Elementar-Attraction habe
ich nachgewiesen, daſs der Begriff der Bewegung, oder
eigentlich der in ihm liegende der Geschwindigkeit, von
Widersprüchen gar nicht zu befreyen ist; daſs dieses
aber unschädlich ist, weil die Bewegung kein reales Prä-
dicat der Wesen darbietet. Nun könnte Jemand auf den
Gedanken kommen, eine solche Erläuterung passe zwar
auf die räumliche Bewegung, aber nicht auf die Bewe-
gung der Vorstellungen, wodurch reale Zustände der
Seele ausgedrückt werden, auf welche man keine wider-
sprechenden Begriffe übertragen dürfe. Hierauf ist zu
erwiedern, daſs der Schein des Widerspruchs nur daher
rührt, weil wir das Steigen und Sinken der Vorstellun-
gen nicht anders als mit Hülfe räumlicher Symbole be-
zeichnen können. Allein während wir dem Raume das
Aneinander, als sein Element und zugleich als sein Maaſs,
zum Grunde legen müssen, gegen welches weiterhin so-
wohl die Irrationalgröſsen als die Bestimmungen der Ge-
schwindigkeit, unvermeidliche Widersprüche bilden, —
so giebt es dagegen für die sogenannten Bewegungen
der Vorstellungen gar keine solche elementarische Gröſse,
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[359/0394] reicht ihnen, in wiefern sie eben nur Geometer seyn wollen, nicht zum Vorwurf. Daſs aber selbst die Meta- physiker dabey sorglos bleiben, oder sich mit leeren Aus- flüchten behelfen, das verzeiht ihnen ihre Wissenschaft nicht; sondern sie büſsen ihre Nachlässigkeit durch ein Heer von Irrthümern, ja von falsch gestellten Fragen und im Keime verdorbenen Untersuchungen. Als Beyspiel darf ich nur die Versuche nennen, die Succession der Weltbegebenheiten zu erklären. — Am Schlusse dieses Paragraphen muſs ich noch ei- nem Anstoſse vorbeugen, welcher dem aufmerksamen Le- sar dieses Buchs bey der Vergleichung mit den öfter an- geführten Schriften, die mit der gegenwärtigen gewisser- maaſsen Ein Ganzes ausmachen, wohl begegnen könnte. Nämlich in den Hauptpuncten der Metaphysik, und in der Abhandlung über die Elementar-Attraction habe ich nachgewiesen, daſs der Begriff der Bewegung, oder eigentlich der in ihm liegende der Geschwindigkeit, von Widersprüchen gar nicht zu befreyen ist; daſs dieses aber unschädlich ist, weil die Bewegung kein reales Prä- dicat der Wesen darbietet. Nun könnte Jemand auf den Gedanken kommen, eine solche Erläuterung passe zwar auf die räumliche Bewegung, aber nicht auf die Bewe- gung der Vorstellungen, wodurch reale Zustände der Seele ausgedrückt werden, auf welche man keine wider- sprechenden Begriffe übertragen dürfe. Hierauf ist zu erwiedern, daſs der Schein des Widerspruchs nur daher rührt, weil wir das Steigen und Sinken der Vorstellun- gen nicht anders als mit Hülfe räumlicher Symbole be- zeichnen können. Allein während wir dem Raume das Aneinander, als sein Element und zugleich als sein Maaſs, zum Grunde legen müssen, gegen welches weiterhin so- wohl die Irrationalgröſsen als die Bestimmungen der Ge- schwindigkeit, unvermeidliche Widersprüche bilden, — so giebt es dagegen für die sogenannten Bewegungen der Vorstellungen gar keine solche elementarische Gröſse, die bey ihnen zum allgemeinen Vergleichungspuncte die-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/394>, abgerufen am 19.04.2024.