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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Die Psychologie wirkte falsch auf die Logik, indem
sie, derselben sich beymischend, ihr das Anschn einer
Erzählung gab, wie es im menschlichen Denken zugehe,
anstatt einer Regel, wie es zugehn solle, und einer Grund-
lage der Kritik, wenn es nicht also zugegangen war.
Vom Mechanismus des menschlichen Denkens, der eben
so gut die Ursachen der Irrthümer als der Einsichten in
sich fasst, weiss die Logik nicht das geringste. Bildet
sie sich ein solches Wissen ein: so belastet sie hinwie-
derum die Psychologie mit Fehlern, wie es unter andern
dort geschah, wo man die logischen Vorschriften zur
Abstraction und Determination in ein vermeintes Abs-
tractionsvermögen übersetzte, und hiemit die Untersu-
chung über den Ursprung und die allmählige Ausbildung
der allgemeinen Begriffe verdarb. (Zu vergleichen §. 119
bis 122. und §. 147.)

Die Psychologie wirkte falsch auf die Moral, indem
sie auch diese verleitete, die Frage nach dem Sollen zu
verwechseln mit der nach dem Können. Als man von
Sympathie und vom Geselligkeitstriebe redete, um aus
dergleichen natürlichen Neigungen der menschlichen Na-
tur darzuthun, wie geschickt der Mensch sey, und wie
angenehm es ihm werden müsse, wenn er nur einmal
versuchen wollte, als ein guter Bürger und als ein redli-
cher Freund zu leben: da befand man sich ganz in dem
angezeigten Irrthum, und die Auctorität der Moral gerieth
in Gefahr, indem aus psychologischen Gründen sich eben
so vortrefflich entwickeln liess, der Mensch sey unge-
schickt zum Guten, er sey unaufgelegt für das Recht, im
natürlichen Kampfe mit aller Welt, zur Arglist und Tücke
gehoren. Kam man von beyden Seiten her in einer fried-
lichen Mitte zusammen, so musste die Moral eben so
gefällig werden, als die sich versöhnenden Psychologen;
sie konnte nur in so weit gelten, als sie dem Menschen
natürlich schien, und das war nicht gar weit! -- Als
aber Kant sich gegen diese Verkehrtheit erhob, fing er
allerdings sein Philosophiren zum zweytenmale von vorn

Die Psychologie wirkte falsch auf die Logik, indem
sie, derselben sich beymischend, ihr das Anschn einer
Erzählung gab, wie es im menschlichen Denken zugehe,
anstatt einer Regel, wie es zugehn solle, und einer Grund-
lage der Kritik, wenn es nicht also zugegangen war.
Vom Mechanismus des menschlichen Denkens, der eben
so gut die Ursachen der Irrthümer als der Einsichten in
sich faſst, weiſs die Logik nicht das geringste. Bildet
sie sich ein solches Wissen ein: so belastet sie hinwie-
derum die Psychologie mit Fehlern, wie es unter andern
dort geschah, wo man die logischen Vorschriften zur
Abstraction und Determination in ein vermeintes Abs-
tractionsvermögen übersetzte, und hiemit die Untersu-
chung über den Ursprung und die allmählige Ausbildung
der allgemeinen Begriffe verdarb. (Zu vergleichen §. 119
bis 122. und §. 147.)

Die Psychologie wirkte falsch auf die Moral, indem
sie auch diese verleitete, die Frage nach dem Sollen zu
verwechseln mit der nach dem Können. Als man von
Sympathie und vom Geselligkeitstriebe redete, um aus
dergleichen natürlichen Neigungen der menschlichen Na-
tur darzuthun, wie geschickt der Mensch sey, und wie
angenehm es ihm werden müsse, wenn er nur einmal
versuchen wollte, als ein guter Bürger und als ein redli-
cher Freund zu leben: da befand man sich ganz in dem
angezeigten Irrthum, und die Auctorität der Moral gerieth
in Gefahr, indem aus psychologischen Gründen sich eben
so vortrefflich entwickeln lieſs, der Mensch sey unge-
schickt zum Guten, er sey unaufgelegt für das Recht, im
natürlichen Kampfe mit aller Welt, zur Arglist und Tücke
gehoren. Kam man von beyden Seiten her in einer fried-
lichen Mitte zusammen, so muſste die Moral eben so
gefällig werden, als die sich versöhnenden Psychologen;
sie konnte nur in so weit gelten, als sie dem Menschen
natürlich schien, und das war nicht gar weit! — Als
aber Kant sich gegen diese Verkehrtheit erhob, fing er
allerdings sein Philosophiren zum zweytenmale von vorn

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[526/0561] Die Psychologie wirkte falsch auf die Logik, indem sie, derselben sich beymischend, ihr das Anschn einer Erzählung gab, wie es im menschlichen Denken zugehe, anstatt einer Regel, wie es zugehn solle, und einer Grund- lage der Kritik, wenn es nicht also zugegangen war. Vom Mechanismus des menschlichen Denkens, der eben so gut die Ursachen der Irrthümer als der Einsichten in sich faſst, weiſs die Logik nicht das geringste. Bildet sie sich ein solches Wissen ein: so belastet sie hinwie- derum die Psychologie mit Fehlern, wie es unter andern dort geschah, wo man die logischen Vorschriften zur Abstraction und Determination in ein vermeintes Abs- tractionsvermögen übersetzte, und hiemit die Untersu- chung über den Ursprung und die allmählige Ausbildung der allgemeinen Begriffe verdarb. (Zu vergleichen §. 119 bis 122. und §. 147.) Die Psychologie wirkte falsch auf die Moral, indem sie auch diese verleitete, die Frage nach dem Sollen zu verwechseln mit der nach dem Können. Als man von Sympathie und vom Geselligkeitstriebe redete, um aus dergleichen natürlichen Neigungen der menschlichen Na- tur darzuthun, wie geschickt der Mensch sey, und wie angenehm es ihm werden müsse, wenn er nur einmal versuchen wollte, als ein guter Bürger und als ein redli- cher Freund zu leben: da befand man sich ganz in dem angezeigten Irrthum, und die Auctorität der Moral gerieth in Gefahr, indem aus psychologischen Gründen sich eben so vortrefflich entwickeln lieſs, der Mensch sey unge- schickt zum Guten, er sey unaufgelegt für das Recht, im natürlichen Kampfe mit aller Welt, zur Arglist und Tücke gehoren. Kam man von beyden Seiten her in einer fried- lichen Mitte zusammen, so muſste die Moral eben so gefällig werden, als die sich versöhnenden Psychologen; sie konnte nur in so weit gelten, als sie dem Menschen natürlich schien, und das war nicht gar weit! — Als aber Kant sich gegen diese Verkehrtheit erhob, fing er allerdings sein Philosophiren zum zweytenmale von vorn

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/561>, abgerufen am 23.04.2024.