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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gen mit sich hervorzuheben, die den einzelnen Fällen
eigen waren. Dies Streben ists, welches den Stoss des
Prädicats auffängt, sobald die Gesammtvorstellung von
neuem Subject eines Urtheils wird. Man kann das Ge-
sagte unmittelbar anknüpfen an den §. 101.

Es ist dort gezeigt, dass gerade das Uebermaass
entgegengesetzter Verbindungen es ist, wodurch eine
Vorstellung dahin gelangt, dass sie für isolirt gelten
kann, und nunmehr für neue Verbindungen bereit liegt,
wobey bloss ihre Qualität die bestimmende Ursache aus-
macht; welches denn bey den logischen Anordnungen
der Begriffe geschieht. Davon wird weiter unten aus-
führlich geredet werden. Aber es ist einer der ärgsten,
wie der gemeinsten, Misgriffe, deren sich die empirische
Psychologie schuldig gemacht hat, den Verstand für das
Vermögen der Begriffe (oder auch, Vermögen, durch
Begriffe die Gegenstände zu denken) zu erklären (wo-
bey noch obendrein, um einen zweyten Fehler zu be-
gehn, Begriffe für allgemeine Vorstellungen aus-
gegeben werden, als ob es keine einzelnen Begriffe
gäbe). Diese Definition ist viel zu eng; und sie taugt
deshalb Nichts; auch dann noch, wann wir von dem
Vorurtheil der Seelenvermögen ganz hinwegsehn. Die
empirische Psychologie muss dem Sprachgebrauche genü-
gen; und dieser erlaubt schlechterdings nicht, nach der
Cultur der Begriffe die Grösse des Verstandes abzumes-
sen. Frauen, Staatsmänner, Feldherrn, Künstler, Kauf-
leute, suchen den Verstand in keiner logischen Schule;
obgleich sie hier allerdings diejenige, zwar wichtige, aber
ziemlich eng beschränkte species des Verstandes suchen
sollten, welche von der Anordnung und scharfen Bestim-
mung der Begriffe abhängt.

Der logische Zuschnitt der Gedanken ist nicht ihre
Bewegung, und doch ist diese noch nöthiger als jener,
wenn sie sich nach der Qualität des Gedachten richten
sollen. Wenigstens im Leben; denn anders verhält sichs
in der Wissenschaft, der nicht vorgeschrieben ist, sie

gen mit sich hervorzuheben, die den einzelnen Fällen
eigen waren. Dies Streben ists, welches den Stoſs des
Prädicats auffängt, sobald die Gesammtvorstellung von
neuem Subject eines Urtheils wird. Man kann das Ge-
sagte unmittelbar anknüpfen an den §. 101.

Es ist dort gezeigt, daſs gerade das Uebermaaſs
entgegengesetzter Verbindungen es ist, wodurch eine
Vorstellung dahin gelangt, daſs sie für isolirt gelten
kann, und nunmehr für neue Verbindungen bereit liegt,
wobey bloſs ihre Qualität die bestimmende Ursache aus-
macht; welches denn bey den logischen Anordnungen
der Begriffe geschieht. Davon wird weiter unten aus-
führlich geredet werden. Aber es ist einer der ärgsten,
wie der gemeinsten, Misgriffe, deren sich die empirische
Psychologie schuldig gemacht hat, den Verstand für das
Vermögen der Begriffe (oder auch, Vermögen, durch
Begriffe die Gegenstände zu denken) zu erklären (wo-
bey noch obendrein, um einen zweyten Fehler zu be-
gehn, Begriffe für allgemeine Vorstellungen aus-
gegeben werden, als ob es keine einzelnen Begriffe
gäbe). Diese Definition ist viel zu eng; und sie taugt
deshalb Nichts; auch dann noch, wann wir von dem
Vorurtheil der Seelenvermögen ganz hinwegsehn. Die
empirische Psychologie muſs dem Sprachgebrauche genü-
gen; und dieser erlaubt schlechterdings nicht, nach der
Cultur der Begriffe die Gröſse des Verstandes abzumes-
sen. Frauen, Staatsmänner, Feldherrn, Künstler, Kauf-
leute, suchen den Verstand in keiner logischen Schule;
obgleich sie hier allerdings diejenige, zwar wichtige, aber
ziemlich eng beschränkte species des Verstandes suchen
sollten, welche von der Anordnung und scharfen Bestim-
mung der Begriffe abhängt.

Der logische Zuschnitt der Gedanken ist nicht ihre
Bewegung, und doch ist diese noch nöthiger als jener,
wenn sie sich nach der Qualität des Gedachten richten
sollen. Wenigstens im Leben; denn anders verhält sichs
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[44/0079] gen mit sich hervorzuheben, die den einzelnen Fällen eigen waren. Dies Streben ists, welches den Stoſs des Prädicats auffängt, sobald die Gesammtvorstellung von neuem Subject eines Urtheils wird. Man kann das Ge- sagte unmittelbar anknüpfen an den §. 101. Es ist dort gezeigt, daſs gerade das Uebermaaſs entgegengesetzter Verbindungen es ist, wodurch eine Vorstellung dahin gelangt, daſs sie für isolirt gelten kann, und nunmehr für neue Verbindungen bereit liegt, wobey bloſs ihre Qualität die bestimmende Ursache aus- macht; welches denn bey den logischen Anordnungen der Begriffe geschieht. Davon wird weiter unten aus- führlich geredet werden. Aber es ist einer der ärgsten, wie der gemeinsten, Misgriffe, deren sich die empirische Psychologie schuldig gemacht hat, den Verstand für das Vermögen der Begriffe (oder auch, Vermögen, durch Begriffe die Gegenstände zu denken) zu erklären (wo- bey noch obendrein, um einen zweyten Fehler zu be- gehn, Begriffe für allgemeine Vorstellungen aus- gegeben werden, als ob es keine einzelnen Begriffe gäbe). Diese Definition ist viel zu eng; und sie taugt deshalb Nichts; auch dann noch, wann wir von dem Vorurtheil der Seelenvermögen ganz hinwegsehn. Die empirische Psychologie muſs dem Sprachgebrauche genü- gen; und dieser erlaubt schlechterdings nicht, nach der Cultur der Begriffe die Gröſse des Verstandes abzumes- sen. Frauen, Staatsmänner, Feldherrn, Künstler, Kauf- leute, suchen den Verstand in keiner logischen Schule; obgleich sie hier allerdings diejenige, zwar wichtige, aber ziemlich eng beschränkte species des Verstandes suchen sollten, welche von der Anordnung und scharfen Bestim- mung der Begriffe abhängt. Der logische Zuschnitt der Gedanken ist nicht ihre Bewegung, und doch ist diese noch nöthiger als jener, wenn sie sich nach der Qualität des Gedachten richten sollen. Wenigstens im Leben; denn anders verhält sichs in der Wissenschaft, der nicht vorgeschrieben ist, sie

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/79>, abgerufen am 28.03.2024.