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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Angestellte eines Andern ist, desto weniger bekümmert er
sich darum, und desto weniger Ehre giebt es für ihn; desto
mehr Gewicht aber fallt nun auf jenen zweyten Theil der
Bestrebungen, der sich trotz der beschränkten Stellung zu
befriedigen sucht. Hiezu werden alle Gelegenheiten benutzt
und die Künste der Falschheit aufgeboten, wenn nicht eine
zugleich milde und strenge Behandlung von Seiten der An-
stellenden dem Uebel vorbeugt.

Den bessern Theil einer jeden Nation findet man in
der Regel unter denen, die einen Theil der allgemeinen
Arbeit übernommen haben und ihn nach eigenem Urtheil
besorgen.

140. Wie auf den erwachsenen Menschen sein Stand,
so wirkt auf die Tugend die Familie, der Jemand ange-
hört, und die Erziehung, die ihm zu Theil wird, nebst den
Eindrücken der Beyspiele und der ganzen Umgebung. Sel-
ten bildet sich einer im Widerstreite mit seiner Lage, nie-
mals davon unabhängig.

141. Die Hauptfrage ist: wieviel, und welche Frey-
heit dem Menschen bleibe, in der Mitte aller äußern Ein-
wirkungen?

Es ist leicht, das Vorstehende so auszuführen, daß,
indem man sich dem Eindrucke der Thatsachen überläßt, die
Ueberzeugung hervorgeht, der Mensch werde entweder alles,
was er ist, durch das Aeußere, verbunden mit der natür-
lichen Anlage, die seinem Wollen vorhergeht, -- oder es
sey wenigstens der Kreis der Freyheit so klein, daß er für
unbedeutend gelten müsse.

Kant räumte sckon ein, das ganze zeitliche Daseyn des
Menschen stehe unter Gesetzen der Natur-Nothwendigkeit.
Um die Freyheit zu retten, versetzte er sie in die intelligible
Welt, als einen Glaubensartikel für den sittlichen Menschen.

Darf man sich erlauben, jemanden besser verstehen zu

Angestellte eines Andern ist, desto weniger bekümmert er
sich darum, und desto weniger Ehre giebt es für ihn; desto
mehr Gewicht aber fallt nun auf jenen zweyten Theil der
Bestrebungen, der sich trotz der beschränkten Stellung zu
befriedigen sucht. Hiezu werden alle Gelegenheiten benutzt
und die Künste der Falschheit aufgeboten, wenn nicht eine
zugleich milde und strenge Behandlung von Seiten der An-
stellenden dem Uebel vorbeugt.

Den bessern Theil einer jeden Nation findet man in
der Regel unter denen, die einen Theil der allgemeinen
Arbeit übernommen haben und ihn nach eigenem Urtheil
besorgen.

140. Wie auf den erwachsenen Menschen sein Stand,
so wirkt auf die Tugend die Familie, der Jemand ange-
hört, und die Erziehung, die ihm zu Theil wird, nebst den
Eindrücken der Beyspiele und der ganzen Umgebung. Sel-
ten bildet sich einer im Widerstreite mit seiner Lage, nie-
mals davon unabhängig.

141. Die Hauptfrage ist: wieviel, und welche Frey-
heit dem Menschen bleibe, in der Mitte aller äußern Ein-
wirkungen?

Es ist leicht, das Vorstehende so auszuführen, daß,
indem man sich dem Eindrucke der Thatsachen überläßt, die
Ueberzeugung hervorgeht, der Mensch werde entweder alles,
was er ist, durch das Aeußere, verbunden mit der natür-
lichen Anlage, die seinem Wollen vorhergeht, — oder es
sey wenigstens der Kreis der Freyheit so klein, daß er für
unbedeutend gelten müsse.

Kant räumte sckon ein, das ganze zeitliche Daseyn des
Menschen stehe unter Gesetzen der Natur-Nothwendigkeit.
Um die Freyheit zu retten, versetzte er sie in die intelligible
Welt, als einen Glaubensartikel für den sittlichen Menschen.

Darf man sich erlauben, jemanden besser verstehen zu

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[109/0117] Angestellte eines Andern ist, desto weniger bekümmert er sich darum, und desto weniger Ehre giebt es für ihn; desto mehr Gewicht aber fallt nun auf jenen zweyten Theil der Bestrebungen, der sich trotz der beschränkten Stellung zu befriedigen sucht. Hiezu werden alle Gelegenheiten benutzt und die Künste der Falschheit aufgeboten, wenn nicht eine zugleich milde und strenge Behandlung von Seiten der An- stellenden dem Uebel vorbeugt. Den bessern Theil einer jeden Nation findet man in der Regel unter denen, die einen Theil der allgemeinen Arbeit übernommen haben und ihn nach eigenem Urtheil besorgen. 140. Wie auf den erwachsenen Menschen sein Stand, so wirkt auf die Tugend die Familie, der Jemand ange- hört, und die Erziehung, die ihm zu Theil wird, nebst den Eindrücken der Beyspiele und der ganzen Umgebung. Sel- ten bildet sich einer im Widerstreite mit seiner Lage, nie- mals davon unabhängig. 141. Die Hauptfrage ist: wieviel, und welche Frey- heit dem Menschen bleibe, in der Mitte aller äußern Ein- wirkungen? Es ist leicht, das Vorstehende so auszuführen, daß, indem man sich dem Eindrucke der Thatsachen überläßt, die Ueberzeugung hervorgeht, der Mensch werde entweder alles, was er ist, durch das Aeußere, verbunden mit der natür- lichen Anlage, die seinem Wollen vorhergeht, — oder es sey wenigstens der Kreis der Freyheit so klein, daß er für unbedeutend gelten müsse. Kant räumte sckon ein, das ganze zeitliche Daseyn des Menschen stehe unter Gesetzen der Natur-Nothwendigkeit. Um die Freyheit zu retten, versetzte er sie in die intelligible Welt, als einen Glaubensartikel für den sittlichen Menschen. Darf man sich erlauben, jemanden besser verstehen zu

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/117>, abgerufen am 29.03.2024.