Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

rische Charakter ist wohl immer die Assimilation, deren des-
halb oben zuerst gedacht wurde. Fände sich ein Organis-
mus ohne diese Eigenheit, so dürfte man zweifeln, ob er
für lebend zu halten sey; gesetzt auch, er wäre beseelt
(ein Fall, der sich im allgemeinen Begriffe sehr wohl den-
ken läßt).

161. Nach dem obigen versteht es sich von selbst, daß
die Lebenskräfte sehr verschieden seyn könen, sowohl nach
Beschaffenheiten als Graden. Denn ein System von Selbst-
erhaltungen wird in verschiedenen Wesen verschieden, es
kann in gleichartigen nach Verschiedenheit der Störungen
abgeändert ausfallen; es können endlich der dazu gehörigen
Selbsterhaltungen mehrere oder wenigere seyn.

Hieraus erklärt sich die Verschiedenheit dessen, was
aus einerley Nahrungsmitteln bereitet wird. Die Elemente,
woraus das Herz und woraus die Nerven bestehen, sind,
chemisch betrachtet, gewiß nicht so weit verschieden, als
durch ihre innere Bildung.

Das Causal-Verhältniß zwischen den verschiedenartigen
Theilen eines und desselben lebenden Körpers, desgleichen
das zwischen diesem Körper und der Außenwelt, macht im
Allgemeinen gar keine Schwierigkeit. Alle Causalität, und
insbesondre alle Cohäsion der Materie beruht auf der Un-
gleichartigkeit der Elemente. Daher kann z. B. auch die
Wirkung der Nerven auf die Muskeln keine besondre Ver-
wunderung erregen; vielweniger darf sie Hypothesen von
electrischen Strömungen, von Polaritäten u. dgl. veran-
lassen, welches leere Einfälle sind; die den neuesten Liebha-
bereyen der Physiker das Daseyn verdanken. Es könnte
etwas Wahres daran seyn, und doch blieben die wichtigsten
Fragepuncte unbeanwortet; und am Ende wäre ein Räthsel
an die Stelle des andern gesetzt.




rische Charakter ist wohl immer die Assimilation, deren des-
halb oben zuerst gedacht wurde. Fände sich ein Organis-
mus ohne diese Eigenheit, so dürfte man zweifeln, ob er
für lebend zu halten sey; gesetzt auch, er wäre beseelt
(ein Fall, der sich im allgemeinen Begriffe sehr wohl den-
ken läßt).

161. Nach dem obigen versteht es sich von selbst, daß
die Lebenskräfte sehr verschieden seyn könen, sowohl nach
Beschaffenheiten als Graden. Denn ein System von Selbst-
erhaltungen wird in verschiedenen Wesen verschieden, es
kann in gleichartigen nach Verschiedenheit der Störungen
abgeändert ausfallen; es können endlich der dazu gehörigen
Selbsterhaltungen mehrere oder wenigere seyn.

Hieraus erklärt sich die Verschiedenheit dessen, was
aus einerley Nahrungsmitteln bereitet wird. Die Elemente,
woraus das Herz und woraus die Nerven bestehen, sind,
chemisch betrachtet, gewiß nicht so weit verschieden, als
durch ihre innere Bildung.

Das Causal-Verhältniß zwischen den verschiedenartigen
Theilen eines und desselben lebenden Körpers, desgleichen
das zwischen diesem Körper und der Außenwelt, macht im
Allgemeinen gar keine Schwierigkeit. Alle Causalität, und
insbesondre alle Cohäsion der Materie beruht auf der Un-
gleichartigkeit der Elemente. Daher kann z. B. auch die
Wirkung der Nerven auf die Muskeln keine besondre Ver-
wunderung erregen; vielweniger darf sie Hypothesen von
electrischen Strömungen, von Polaritäten u. dgl. veran-
lassen, welches leere Einfälle sind; die den neuesten Liebha-
bereyen der Physiker das Daseyn verdanken. Es könnte
etwas Wahres daran seyn, und doch blieben die wichtigsten
Fragepuncte unbeanwortet; und am Ende wäre ein Räthsel
an die Stelle des andern gesetzt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0136" n="128"/>
rische Charakter ist wohl immer die Assimilation, deren des-<lb/>
halb oben zuerst
               gedacht wurde. Fände sich ein Organis-<lb/>
mus ohne diese Eigenheit, so dürfte man
               zweifeln, ob er<lb/>
für <hi rendition="#g">lebend</hi> zu halten sey; gesetzt auch,
               er wäre <hi rendition="#g">beseelt</hi><lb/>
(ein Fall, der sich im allgemeinen Begriffe sehr wohl den-<lb/>
ken läßt).</p><lb/>
            <p>161. Nach dem obigen versteht es sich von selbst, daß<lb/>
die Lebenskräfte sehr
               verschieden seyn könen, sowohl nach<lb/>
Beschaffenheiten als Graden. Denn ein System
               von Selbst-<lb/>
erhaltungen wird in verschiedenen Wesen verschieden, es<lb/>
kann in
               gleichartigen nach Verschiedenheit der Störungen<lb/>
abgeändert ausfallen; es können
               endlich der dazu gehörigen<lb/>
Selbsterhaltungen mehrere oder wenigere seyn.</p><lb/>
            <p>Hieraus erklärt sich die Verschiedenheit dessen, was<lb/>
aus einerley
               Nahrungsmitteln bereitet wird. Die Elemente,<lb/>
woraus das Herz und woraus die
               Nerven bestehen, sind,<lb/>
chemisch betrachtet, gewiß nicht so weit verschieden, als<lb/>
durch ihre innere Bildung.</p><lb/>
            <p>Das Causal-Verhältniß zwischen den verschiedenartigen<lb/>
Theilen eines und
               desselben lebenden Körpers, desgleichen<lb/>
das zwischen diesem Körper und der
               Außenwelt, macht im<lb/>
Allgemeinen gar keine Schwierigkeit. Alle Causalität, und<lb/>
insbesondre alle Cohäsion der Materie beruht auf der Un-<lb/>
gleichartigkeit
               der Elemente. Daher kann z. B. auch die<lb/>
Wirkung der Nerven auf die Muskeln keine
               besondre Ver-<lb/>
wunderung erregen; vielweniger darf sie Hypothesen von<lb/>
electrischen Strömungen, von Polaritäten u. dgl. veran-<lb/>
lassen, welches leere
               Einfälle sind; die den neuesten Liebha-<lb/>
bereyen der Physiker das Daseyn
               verdanken. Es könnte<lb/>
etwas Wahres daran seyn, und doch blieben die wichtigsten<lb/>
Fragepuncte unbeanwortet; und am Ende wäre ein Räthsel<lb/>
an die Stelle des
               andern gesetzt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0136] rische Charakter ist wohl immer die Assimilation, deren des- halb oben zuerst gedacht wurde. Fände sich ein Organis- mus ohne diese Eigenheit, so dürfte man zweifeln, ob er für lebend zu halten sey; gesetzt auch, er wäre beseelt (ein Fall, der sich im allgemeinen Begriffe sehr wohl den- ken läßt). 161. Nach dem obigen versteht es sich von selbst, daß die Lebenskräfte sehr verschieden seyn könen, sowohl nach Beschaffenheiten als Graden. Denn ein System von Selbst- erhaltungen wird in verschiedenen Wesen verschieden, es kann in gleichartigen nach Verschiedenheit der Störungen abgeändert ausfallen; es können endlich der dazu gehörigen Selbsterhaltungen mehrere oder wenigere seyn. Hieraus erklärt sich die Verschiedenheit dessen, was aus einerley Nahrungsmitteln bereitet wird. Die Elemente, woraus das Herz und woraus die Nerven bestehen, sind, chemisch betrachtet, gewiß nicht so weit verschieden, als durch ihre innere Bildung. Das Causal-Verhältniß zwischen den verschiedenartigen Theilen eines und desselben lebenden Körpers, desgleichen das zwischen diesem Körper und der Außenwelt, macht im Allgemeinen gar keine Schwierigkeit. Alle Causalität, und insbesondre alle Cohäsion der Materie beruht auf der Un- gleichartigkeit der Elemente. Daher kann z. B. auch die Wirkung der Nerven auf die Muskeln keine besondre Ver- wunderung erregen; vielweniger darf sie Hypothesen von electrischen Strömungen, von Polaritäten u. dgl. veran- lassen, welches leere Einfälle sind; die den neuesten Liebha- bereyen der Physiker das Daseyn verdanken. Es könnte etwas Wahres daran seyn, und doch blieben die wichtigsten Fragepuncte unbeanwortet; und am Ende wäre ein Räthsel an die Stelle des andern gesetzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/136
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/136>, abgerufen am 25.04.2024.