Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

kümmern, war ganz in Wolffs Geiste; dabey ist er unüber-
trefflich in der Unbehutsamkeit, die größten Schwierigkeiten
mit Namen-Erklärungen zuzudecken. Kant bediente sich der
Seelenvermögen, um seine Untersuchungen der Form nach
dadurch deutlich darzustellen, daß er die menschliche Erkenntniß
in ihrem Fortgange von den Sinnen zur verständigen und ver-
nünftigen Ausbildung gleichsam begleitete; und es ist nicht
leicht, seine Kritiken von dieser Form zu entkleiden.

Von späteren Verwirrungen, da man entweder in rein-
empirischer Psychologie das, was Jeder ohnehin weiß, noch
einmal erzählen will, oder mit vorgeblicher Beobachtungs-
gabe im eignen Jnnern Entdeckungen gemacht haben will,
die Andre in sich nicht wiederfinden, oder auch der Psycho-
logie bald eine metaphysische, bald eine ethische, bald eine
religiöse, bald eine physiologische Farbe anstreicht, wobei
weder die gegenseitigen Grenzen noch die Verbindungen der
Wissenschaften beachtet werden, das Grundwesen des psychischen
Mechanismus aber gänzlich verborgen bleibt, -- davon ist
hier nicht zu reden. Nur das Eine sey gesagt, daß die
Psychologie nicht ins Schöne malen darf. Sie soll nicht
bewundern, sondern erklären; nicht Seltenheiten aufzeigen,
sondern den Menschen, wie er ist, allgemein begreiflich ma-
chen; ihn weder in den Himmel erheben, noch den Geist
unauflöslich an den Staub heften; und die Wege der Un-
tersuchung nicht verschütten sondern eröffnen.




kümmern, war ganz in Wolffs Geiste; dabey ist er unüber-
trefflich in der Unbehutsamkeit, die größten Schwierigkeiten
mit Namen-Erklärungen zuzudecken. Kant bediente sich der
Seelenvermögen, um seine Untersuchungen der Form nach
dadurch deutlich darzustellen, daß er die menschliche Erkenntniß
in ihrem Fortgange von den Sinnen zur verständigen und ver-
nünftigen Ausbildung gleichsam begleitete; und es ist nicht
leicht, seine Kritiken von dieser Form zu entkleiden.

Von späteren Verwirrungen, da man entweder in rein-
empirischer Psychologie das, was Jeder ohnehin weiß, noch
einmal erzählen will, oder mit vorgeblicher Beobachtungs-
gabe im eignen Jnnern Entdeckungen gemacht haben will,
die Andre in sich nicht wiederfinden, oder auch der Psycho-
logie bald eine metaphysische, bald eine ethische, bald eine
religiöse, bald eine physiologische Farbe anstreicht, wobei
weder die gegenseitigen Grenzen noch die Verbindungen der
Wissenschaften beachtet werden, das Grundwesen des psychischen
Mechanismus aber gänzlich verborgen bleibt, — davon ist
hier nicht zu reden. Nur das Eine sey gesagt, daß die
Psychologie nicht ins Schöne malen darf. Sie soll nicht
bewundern, sondern erklären; nicht Seltenheiten aufzeigen,
sondern den Menschen, wie er ist, allgemein begreiflich ma-
chen; ihn weder in den Himmel erheben, noch den Geist
unauflöslich an den Staub heften; und die Wege der Un-
tersuchung nicht verschütten sondern eröffnen.




<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0016" n="8"/>
kümmern, war ganz in Wolffs Geiste; dabey ist er unüber-<lb/>
trefflich in der Unbehutsamkeit, die größten Schwierigkeiten<lb/>
mit Namen-Erklärungen
           zuzudecken. Kant bediente sich der<lb/>
Seelenvermögen, um seine Untersuchungen der Form
           nach<lb/>
dadurch deutlich darzustellen, daß er die menschliche Erkenntniß<lb/>
in ihrem
           Fortgange von den Sinnen zur verständigen und ver-<lb/>
nünftigen Ausbildung gleichsam
           begleitete; und es ist nicht<lb/>
leicht, seine Kritiken von dieser Form zu
           entkleiden.</p><lb/>
        <p>Von späteren Verwirrungen, da man entweder in rein-<lb/>
empirischer Psychologie das, was
           Jeder ohnehin weiß, noch<lb/>
einmal erzählen will, oder mit vorgeblicher
           Beobachtungs-<lb/>
gabe im eignen Jnnern Entdeckungen gemacht haben will,<lb/>
die Andre
           in sich nicht wiederfinden, oder auch der Psycho-<lb/>
logie bald eine metaphysische, bald
           eine ethische, bald eine<lb/>
religiöse, bald eine physiologische Farbe anstreicht, wobei<lb/>
weder die gegenseitigen Grenzen noch die Verbindungen der<lb/>
Wissenschaften
           beachtet werden, das Grundwesen des psychischen<lb/>
Mechanismus aber gänzlich verborgen
           bleibt, &#x2014; davon ist<lb/>
hier nicht zu reden. Nur das Eine sey gesagt, daß die<lb/>
Psychologie nicht ins Schöne malen darf. Sie soll nicht<lb/>
bewundern, sondern erklären;
           nicht Seltenheiten aufzeigen,<lb/>
sondern den Menschen, wie er ist, allgemein
           begreiflich ma-<lb/>
chen; ihn weder in den Himmel erheben, noch den Geist<lb/>
unauflöslich an den Staub heften; und die Wege der Un-<lb/>
tersuchung nicht verschütten
           sondern eröffnen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div><lb/>
    </front>
    <body>
</body>
  </text>
</TEI>
[8/0016] kümmern, war ganz in Wolffs Geiste; dabey ist er unüber- trefflich in der Unbehutsamkeit, die größten Schwierigkeiten mit Namen-Erklärungen zuzudecken. Kant bediente sich der Seelenvermögen, um seine Untersuchungen der Form nach dadurch deutlich darzustellen, daß er die menschliche Erkenntniß in ihrem Fortgange von den Sinnen zur verständigen und ver- nünftigen Ausbildung gleichsam begleitete; und es ist nicht leicht, seine Kritiken von dieser Form zu entkleiden. Von späteren Verwirrungen, da man entweder in rein- empirischer Psychologie das, was Jeder ohnehin weiß, noch einmal erzählen will, oder mit vorgeblicher Beobachtungs- gabe im eignen Jnnern Entdeckungen gemacht haben will, die Andre in sich nicht wiederfinden, oder auch der Psycho- logie bald eine metaphysische, bald eine ethische, bald eine religiöse, bald eine physiologische Farbe anstreicht, wobei weder die gegenseitigen Grenzen noch die Verbindungen der Wissenschaften beachtet werden, das Grundwesen des psychischen Mechanismus aber gänzlich verborgen bleibt, — davon ist hier nicht zu reden. Nur das Eine sey gesagt, daß die Psychologie nicht ins Schöne malen darf. Sie soll nicht bewundern, sondern erklären; nicht Seltenheiten aufzeigen, sondern den Menschen, wie er ist, allgemein begreiflich ma- chen; ihn weder in den Himmel erheben, noch den Geist unauflöslich an den Staub heften; und die Wege der Un- tersuchung nicht verschütten sondern eröffnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/16
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/16>, abgerufen am 19.04.2024.