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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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verwickelten Verbindungen der Vorstellungen, die der Mensch
im Laufe der Zeit erlangt, ändert sich dies beträchtlich.

207. Eine Reihe von Vorstellungen sey eben jetzt im
Ablaufen begriffen, so ändert sich in jedem.Augenblicke die
Hemmung, welche die gänzlich oder beynahe aus dem Be-
wußtsein verdrängten Vorstellungen erleiden. Einige kön-
nen sich von selbst regen, weil sie nun minder zurückgehal-
ten sind; andre werden reproducirt durch solche Glieder der
ablaufenden Reihe, denen sie gleichartig sind. Aber die re-
producirten mögen selbst ihre Reihen haben, die nun auch
anfangen abzulaufen, so verwickeln sich diese Reihen in ein-
ander, und mit jener erstern; es entstehn bald Hemmungen,
bald Verschmelzungen und Complicationen. Durch solche
neue Verbindungen aber bilden sich neue Totalkräfte (23)
und die statischen Puncte werden dadurch verrückt, folglich
neue Bewegungsgesetze herbeygeführt.

Em mannigfaltiger Wechsel von Gemüthszuständen
(33 -- 38) kann hiebey kaum ausbleiben. Ein solcher zieht
allemal den Organismus ins Spiel, durch dessen Einmischung
(die wir hier nicht weiter erwägen wollen) die Sache noch
verwickelter wird.

Mit diesem Phantasiren (denn das ist es, mehr
oder minder lebhaft) verbinden sich sehr oft Handlungen in
der Außenwelt und hievon ist das laute Aussprechen der Ge_ danken
nur eine Species. Bey Kindern, die noch nicht ge_ lernt
haben, sich zurückzuhalten, sind dergleichen Aeußerun-
gen dessen, was innerlich vorgeht, in der Regel. Da kommt
alsdann die Wahrnehmung des Products der Aeußerung
hinzu und wirkt mit auf den Verlauf des psychologischen
Ereignisses.

208. Der Lauf der menschlichen Wahrnehmungen läßt
alsdann, wenn er einigermaßen rasch ist, den Vorstellungen,
die er bringt, nicht Zeit, sich unter einander ins Gleichge-

verwickelten Verbindungen der Vorstellungen, die der Mensch
im Laufe der Zeit erlangt, ändert sich dies beträchtlich.

207. Eine Reihe von Vorstellungen sey eben jetzt im
Ablaufen begriffen, so ändert sich in jedem.Augenblicke die
Hemmung, welche die gänzlich oder beynahe aus dem Be-
wußtsein verdrängten Vorstellungen erleiden. Einige kön-
nen sich von selbst regen, weil sie nun minder zurückgehal-
ten sind; andre werden reproducirt durch solche Glieder der
ablaufenden Reihe, denen sie gleichartig sind. Aber die re-
producirten mögen selbst ihre Reihen haben, die nun auch
anfangen abzulaufen, so verwickeln sich diese Reihen in ein-
ander, und mit jener erstern; es entstehn bald Hemmungen,
bald Verschmelzungen und Complicationen. Durch solche
neue Verbindungen aber bilden sich neue Totalkräfte (23)
und die statischen Puncte werden dadurch verrückt, folglich
neue Bewegungsgesetze herbeygeführt.

Em mannigfaltiger Wechsel von Gemüthszuständen
(33 — 38) kann hiebey kaum ausbleiben. Ein solcher zieht
allemal den Organismus ins Spiel, durch dessen Einmischung
(die wir hier nicht weiter erwägen wollen) die Sache noch
verwickelter wird.

Mit diesem Phantasiren (denn das ist es, mehr
oder minder lebhaft) verbinden sich sehr oft Handlungen in
der Außenwelt und hievon ist das laute Aussprechen der Ge_ danken
nur eine Species. Bey Kindern, die noch nicht ge_ lernt
haben, sich zurückzuhalten, sind dergleichen Aeußerun-
gen dessen, was innerlich vorgeht, in der Regel. Da kommt
alsdann die Wahrnehmung des Products der Aeußerung
hinzu und wirkt mit auf den Verlauf des psychologischen
Ereignisses.

208. Der Lauf der menschlichen Wahrnehmungen läßt
alsdann, wenn er einigermaßen rasch ist, den Vorstellungen,
die er bringt, nicht Zeit, sich unter einander ins Gleichge-

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[167/0175] verwickelten Verbindungen der Vorstellungen, die der Mensch im Laufe der Zeit erlangt, ändert sich dies beträchtlich. 207. Eine Reihe von Vorstellungen sey eben jetzt im Ablaufen begriffen, so ändert sich in jedem.Augenblicke die Hemmung, welche die gänzlich oder beynahe aus dem Be- wußtsein verdrängten Vorstellungen erleiden. Einige kön- nen sich von selbst regen, weil sie nun minder zurückgehal- ten sind; andre werden reproducirt durch solche Glieder der ablaufenden Reihe, denen sie gleichartig sind. Aber die re- producirten mögen selbst ihre Reihen haben, die nun auch anfangen abzulaufen, so verwickeln sich diese Reihen in ein- ander, und mit jener erstern; es entstehn bald Hemmungen, bald Verschmelzungen und Complicationen. Durch solche neue Verbindungen aber bilden sich neue Totalkräfte (23) und die statischen Puncte werden dadurch verrückt, folglich neue Bewegungsgesetze herbeygeführt. Em mannigfaltiger Wechsel von Gemüthszuständen (33 — 38) kann hiebey kaum ausbleiben. Ein solcher zieht allemal den Organismus ins Spiel, durch dessen Einmischung (die wir hier nicht weiter erwägen wollen) die Sache noch verwickelter wird. Mit diesem Phantasiren (denn das ist es, mehr oder minder lebhaft) verbinden sich sehr oft Handlungen in der Außenwelt und hievon ist das laute Aussprechen der Ge_ danken nur eine Species. Bey Kindern, die noch nicht ge_ lernt haben, sich zurückzuhalten, sind dergleichen Aeußerun- gen dessen, was innerlich vorgeht, in der Regel. Da kommt alsdann die Wahrnehmung des Products der Aeußerung hinzu und wirkt mit auf den Verlauf des psychologischen Ereignisses. 208. Der Lauf der menschlichen Wahrnehmungen läßt alsdann, wenn er einigermaßen rasch ist, den Vorstellungen, die er bringt, nicht Zeit, sich unter einander ins Gleichge-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/175>, abgerufen am 29.03.2024.