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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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und Gestaltung; welche abweicht von der Gestal-
tung analoger Vorstellungen, falls dieselben gegeben werden
und dann sinken. Daraus erklärt sich der Conflict zwischen
den Dingen wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie den-
ken;und hiemit die Neigung, sie anders zu formen oder
doch zu besehen, als so, wie sie sich zuerst darstellen; mithin
das Eingreifen der Selbstthätigkeit in das, was der Wahr-
nehmung vorliegt; wie es insbesondre bey Kindern, auch ohne
weitern Zweck, häufig vorkommt.

Viertes Capitel.
Von den Vorstellungen als dem Sitze der Gemüthszustände.

33. Einer von den Einwürfen gegen die mathema-
tische Psychologie lautet so: die Mathematik bestimme nur
Quanta, die Psychologie aber habe vorzüglich auf Quali-
täten zu sehen., Es ist jetzt Zeit, diesem Einwurfe zu be-
gegnen und den Vorrath von Erklärungsgründen der Ge-
müthszustände zu sammeln, welchen uns das Vorstehende
darbietet.

Hiebey müssen wir zuvörderst bemerken, daß das eigent-
liche Streben vorzustellen (11) niemals unmittelbar
im Bewußtsein erscheint, denn gerade so weit, als die Vor-
stellungen sich in ein Streben verwandeln, sind sie aus dem
Bewußtseyn verdrängt. Auch das allmählige Sinken dersel-
ben kann nicht wahrgenommen werden. Daß Niemand sein
eignes Einschlafen zu beobachten vermag, ist hievon ein be-
sonderer Fall.

Die Seele wird Geist genannt, so sern sie vorstellt,
Gemüth, so gern sie fühlt und begehrt. Das Gemüth

Henbildung
und Gestaltung; welche abweicht von der Gestal-
tung analoger Vorstellungen, falls dieselben gegeben werden
und dann sinken. Daraus erklärt sich der Conflict zwischen
den Dingen wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie den-
ken;und hiemit die Neigung, sie anders zu formen oder
doch zu besehen, als so, wie sie sich zuerst darstellen; mithin
das Eingreifen der Selbstthätigkeit in das, was der Wahr-
nehmung vorliegt; wie es insbesondre bey Kindern, auch ohne
weitern Zweck, häufig vorkommt.

Viertes Capitel.
Von den Vorstellungen als dem Sitze der Gemüthszustände.

33. Einer von den Einwürfen gegen die mathema-
tische Psychologie lautet so: die Mathematik bestimme nur
Quanta, die Psychologie aber habe vorzüglich auf Quali-
täten zu sehen., Es ist jetzt Zeit, diesem Einwurfe zu be-
gegnen und den Vorrath von Erklärungsgründen der Ge-
müthszustände zu sammeln, welchen uns das Vorstehende
darbietet.

Hiebey müssen wir zuvörderst bemerken, daß das eigent-
liche Streben vorzustellen (11) niemals unmittelbar
im Bewußtsein erscheint, denn gerade so weit, als die Vor-
stellungen sich in ein Streben verwandeln, sind sie aus dem
Bewußtseyn verdrängt. Auch das allmählige Sinken dersel-
ben kann nicht wahrgenommen werden. Daß Niemand sein
eignes Einschlafen zu beobachten vermag, ist hievon ein be-
sonderer Fall.

Die Seele wird Geist genannt, so sern sie vorstellt,
Gemüth, so gern sie fühlt und begehrt. Das Gemüth

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[26/0034] Henbildung und Gestaltung; welche abweicht von der Gestal- tung analoger Vorstellungen, falls dieselben gegeben werden und dann sinken. Daraus erklärt sich der Conflict zwischen den Dingen wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie den- ken;und hiemit die Neigung, sie anders zu formen oder doch zu besehen, als so, wie sie sich zuerst darstellen; mithin das Eingreifen der Selbstthätigkeit in das, was der Wahr- nehmung vorliegt; wie es insbesondre bey Kindern, auch ohne weitern Zweck, häufig vorkommt. Viertes Capitel. Von den Vorstellungen als dem Sitze der Gemüthszustände. 33. Einer von den Einwürfen gegen die mathema- tische Psychologie lautet so: die Mathematik bestimme nur Quanta, die Psychologie aber habe vorzüglich auf Quali- täten zu sehen., Es ist jetzt Zeit, diesem Einwurfe zu be- gegnen und den Vorrath von Erklärungsgründen der Ge- müthszustände zu sammeln, welchen uns das Vorstehende darbietet. Hiebey müssen wir zuvörderst bemerken, daß das eigent- liche Streben vorzustellen (11) niemals unmittelbar im Bewußtsein erscheint, denn gerade so weit, als die Vor- stellungen sich in ein Streben verwandeln, sind sie aus dem Bewußtseyn verdrängt. Auch das allmählige Sinken dersel- ben kann nicht wahrgenommen werden. Daß Niemand sein eignes Einschlafen zu beobachten vermag, ist hievon ein be- sonderer Fall. Die Seele wird Geist genannt, so sern sie vorstellt, Gemüth, so gern sie fühlt und begehrt. Das Gemüth

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/34>, abgerufen am 28.03.2024.