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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Menschheit und Thierheit, noch zwischen dem obern und un-
tern Vermögen. Wir haben also auch nicht Ursache, vest-
stehende Unterschiede zu fodern, wo wir der beweglichen
genug antreffen, welche sattsam erklären, wie man sich ver-
anlaßt sinden konnte, nach dem Unterschiede zu fragen, den
man für einen einzigen und überall gleichen hielt. Sollte
aber Jemand meinen, das Thier sey hier dem Menschen zu
nahe, gerückt, so gelten dagegen folgende Bemerkungen.

Wir kennen die Thiere sehr wenig. Wir unterscheiden
viel zu wenig die verschiedenen Thier-Classen. Beym Dres-
siren der Thiere, wodurch wir eine beträchtliche Biegsamkeit
ihrer Anlage kennen lernen, wird meistens ein eben so fal-
scher Begriff zum Grunde gelegt, als bey schlechter Erziehung
des menschlichen Kindes. Das Thier nimmt keine Dressur
an, außer nach den innern Gesetzen seines Wesens, und
der größte Theil des dabey angewandten Zwanges ist ohne
Zweifel grobe Mishandlung, selbst wenn derselbe nützlich seyn
sollte zur Erreichung des Zwecks, da man das Thier nur
als Thier gebrauchen will. Wer junge Thiere beobachtet
hat, dem kann die Bemerkung nicht entgangen seyn, wie
oft sie sich bemühen, ihre Vorderpfoden als Hände zu ge-
brauchen; ein vergebliches Streben, die Schranken ihrer Or-
ganisation zu überschreiten. Dem Menschen aber ist zuwei-
len statt des Ubermuths mehr Dankbarkeit für die Hülfs-
mittel der Bildung zu empfehlen, deren er sich vorzugsweise
erfreut. Übrigens, während die mannigfaltigen Unterschiede
in der geistigen Regsamkeit verschiedener Thiere uns ein Ge-
heimniß bleiben, liegt uns die Verschiedenheit der Menschen
doch etwas deutlicher vor Augen. Auf die Frage, ob sich
die Vorstellungen als Kräfte im Menschen vollständig äus-
sern können, oder ob hier villeicht auch noch etwas von der
bey den Thieren bemerkten Beschränktheit zurückbleibe? läßt
sich im Allgemeinen folgendes antworten: Die Hände des

Menschheit und Thierheit, noch zwischen dem obern und un-
tern Vermögen. Wir haben also auch nicht Ursache, vest-
stehende Unterschiede zu fodern, wo wir der beweglichen
genug antreffen, welche sattsam erklären, wie man sich ver-
anlaßt sinden konnte, nach dem Unterschiede zu fragen, den
man für einen einzigen und überall gleichen hielt. Sollte
aber Jemand meinen, das Thier sey hier dem Menschen zu
nahe, gerückt, so gelten dagegen folgende Bemerkungen.

Wir kennen die Thiere sehr wenig. Wir unterscheiden
viel zu wenig die verschiedenen Thier-Classen. Beym Dres-
siren der Thiere, wodurch wir eine beträchtliche Biegsamkeit
ihrer Anlage kennen lernen, wird meistens ein eben so fal-
scher Begriff zum Grunde gelegt, als bey schlechter Erziehung
des menschlichen Kindes. Das Thier nimmt keine Dressur
an, außer nach den innern Gesetzen seines Wesens, und
der größte Theil des dabey angewandten Zwanges ist ohne
Zweifel grobe Mishandlung, selbst wenn derselbe nützlich seyn
sollte zur Erreichung des Zwecks, da man das Thier nur
als Thier gebrauchen will. Wer junge Thiere beobachtet
hat, dem kann die Bemerkung nicht entgangen seyn, wie
oft sie sich bemühen, ihre Vorderpfoden als Hände zu ge-
brauchen; ein vergebliches Streben, die Schranken ihrer Or-
ganisation zu überschreiten. Dem Menschen aber ist zuwei-
len statt des Ubermuths mehr Dankbarkeit für die Hülfs-
mittel der Bildung zu empfehlen, deren er sich vorzugsweise
erfreut. Übrigens, während die mannigfaltigen Unterschiede
in der geistigen Regsamkeit verschiedener Thiere uns ein Ge-
heimniß bleiben, liegt uns die Verschiedenheit der Menschen
doch etwas deutlicher vor Augen. Auf die Frage, ob sich
die Vorstellungen als Kräfte im Menschen vollständig äus-
sern können, oder ob hier villeicht auch noch etwas von der
bey den Thieren bemerkten Beschränktheit zurückbleibe? läßt
sich im Allgemeinen folgendes antworten: Die Hände des

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[53/0061] Menschheit und Thierheit, noch zwischen dem obern und un- tern Vermögen. Wir haben also auch nicht Ursache, vest- stehende Unterschiede zu fodern, wo wir der beweglichen genug antreffen, welche sattsam erklären, wie man sich ver- anlaßt sinden konnte, nach dem Unterschiede zu fragen, den man für einen einzigen und überall gleichen hielt. Sollte aber Jemand meinen, das Thier sey hier dem Menschen zu nahe, gerückt, so gelten dagegen folgende Bemerkungen. Wir kennen die Thiere sehr wenig. Wir unterscheiden viel zu wenig die verschiedenen Thier-Classen. Beym Dres- siren der Thiere, wodurch wir eine beträchtliche Biegsamkeit ihrer Anlage kennen lernen, wird meistens ein eben so fal- scher Begriff zum Grunde gelegt, als bey schlechter Erziehung des menschlichen Kindes. Das Thier nimmt keine Dressur an, außer nach den innern Gesetzen seines Wesens, und der größte Theil des dabey angewandten Zwanges ist ohne Zweifel grobe Mishandlung, selbst wenn derselbe nützlich seyn sollte zur Erreichung des Zwecks, da man das Thier nur als Thier gebrauchen will. Wer junge Thiere beobachtet hat, dem kann die Bemerkung nicht entgangen seyn, wie oft sie sich bemühen, ihre Vorderpfoden als Hände zu ge- brauchen; ein vergebliches Streben, die Schranken ihrer Or- ganisation zu überschreiten. Dem Menschen aber ist zuwei- len statt des Ubermuths mehr Dankbarkeit für die Hülfs- mittel der Bildung zu empfehlen, deren er sich vorzugsweise erfreut. Übrigens, während die mannigfaltigen Unterschiede in der geistigen Regsamkeit verschiedener Thiere uns ein Ge- heimniß bleiben, liegt uns die Verschiedenheit der Menschen doch etwas deutlicher vor Augen. Auf die Frage, ob sich die Vorstellungen als Kräfte im Menschen vollständig äus- sern können, oder ob hier villeicht auch noch etwas von der bey den Thieren bemerkten Beschränktheit zurückbleibe? läßt sich im Allgemeinen folgendes antworten: Die Hände des

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/61>, abgerufen am 24.04.2024.