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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Ueberzeugungen bey uns vestzusetzen, deren Gegenstände in
keiner Erfahrung können gegeben werden.)

87. Ausgerüstet mit den Begriffen von Substanz und
Kraft (wie dunkel und wie unrichtig sie auch übrigens noch
mögen gedacht werden) geht nun der menschliche Geist theils
in alle Weiten des Raumes und der Zeit hinaus, theils in
das Unbestimmbar-Kleine der nämlichen Reihenformen hinab,
theils gänzlich über sie hinweg, um das Höchste und Er-
habenste zu finden. So entstehn die Fragen nach der Un-
endlichkeit der Welt, nach den Bestandtheilen der Materie
(entweder Klümpchen oder Atomen), nach der Geisterwelt
und der Gottheit.

Anmerkung. Es ist höchst unzeitig, jetzt schon über
Gegenstände dieser Art psychologische Fragen erheben zu
wollen, wie man neuerlich mit einer gewissen Vorliebe ge-
than hat und mit der Einbildung, sich auf diesem Wege
wissenschaftliche Verdienste erwerben zu können. Unfehlbar
bilden sich die Begriffe von den Seelenvermögen, durch
welche diese Gegenstände sollen erkannt werden, nach den
Meinungen über die Gegenstände selbst; und erst muß man
so viel Metaphysik haben, um diese Meinungen berichtigen
zu können, ehe man nur fragen darf, welche Fähigkeit für
übersinnliche Erkenntniß dem Menschen beywohnen möge.
Konnte man falschen Speculationen zu Gefallen eine falsche
Logik ersinnen, so wagt man es auch mit der Psychologie.
Nur die Erfahrung wird sich nicht beugen lassen.

88. Noch gehören hieher die gereinigten geometri-
schen Begriffe von Körpern, als gleichförmigen Continuen,
von vollkommenen Flächen, Linien, Punkten. Auch sie über-
schreiten die Erfahrung, oder vielmehr, die Erfahrung
überschreitet sie; weil jeder sinnliche Gegenstand diesen
Begriffen etwas zumischt, wodurch er sie entstellt.

Die Frage nach den Seelenvermögen, welche die Grund-

Ueberzeugungen bey uns vestzusetzen, deren Gegenstände in
keiner Erfahrung können gegeben werden.)

87. Ausgerüstet mit den Begriffen von Substanz und
Kraft (wie dunkel und wie unrichtig sie auch übrigens noch
mögen gedacht werden) geht nun der menschliche Geist theils
in alle Weiten des Raumes und der Zeit hinaus, theils in
das Unbestimmbar-Kleine der nämlichen Reihenformen hinab,
theils gänzlich über sie hinweg, um das Höchste und Er-
habenste zu finden. So entstehn die Fragen nach der Un-
endlichkeit der Welt, nach den Bestandtheilen der Materie
(entweder Klümpchen oder Atomen), nach der Geisterwelt
und der Gottheit.

Anmerkung. Es ist höchst unzeitig, jetzt schon über
Gegenstände dieser Art psychologische Fragen erheben zu
wollen, wie man neuerlich mit einer gewissen Vorliebe ge-
than hat und mit der Einbildung, sich auf diesem Wege
wissenschaftliche Verdienste erwerben zu können. Unfehlbar
bilden sich die Begriffe von den Seelenvermögen, durch
welche diese Gegenstände sollen erkannt werden, nach den
Meinungen über die Gegenstände selbst; und erst muß man
so viel Metaphysik haben, um diese Meinungen berichtigen
zu können, ehe man nur fragen darf, welche Fähigkeit für
übersinnliche Erkenntniß dem Menschen beywohnen möge.
Konnte man falschen Speculationen zu Gefallen eine falsche
Logik ersinnen, so wagt man es auch mit der Psychologie.
Nur die Erfahrung wird sich nicht beugen lassen.

88. Noch gehören hieher die gereinigten geometri-
schen Begriffe von Körpern, als gleichförmigen Continuen,
von vollkommenen Flächen, Linien, Punkten. Auch sie über-
schreiten die Erfahrung, oder vielmehr, die Erfahrung
überschreitet sie; weil jeder sinnliche Gegenstand diesen
Begriffen etwas zumischt, wodurch er sie entstellt.

Die Frage nach den Seelenvermögen, welche die Grund-

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[71/0079] Ueberzeugungen bey uns vestzusetzen, deren Gegenstände in keiner Erfahrung können gegeben werden.) 87. Ausgerüstet mit den Begriffen von Substanz und Kraft (wie dunkel und wie unrichtig sie auch übrigens noch mögen gedacht werden) geht nun der menschliche Geist theils in alle Weiten des Raumes und der Zeit hinaus, theils in das Unbestimmbar-Kleine der nämlichen Reihenformen hinab, theils gänzlich über sie hinweg, um das Höchste und Er- habenste zu finden. So entstehn die Fragen nach der Un- endlichkeit der Welt, nach den Bestandtheilen der Materie (entweder Klümpchen oder Atomen), nach der Geisterwelt und der Gottheit. Anmerkung. Es ist höchst unzeitig, jetzt schon über Gegenstände dieser Art psychologische Fragen erheben zu wollen, wie man neuerlich mit einer gewissen Vorliebe ge- than hat und mit der Einbildung, sich auf diesem Wege wissenschaftliche Verdienste erwerben zu können. Unfehlbar bilden sich die Begriffe von den Seelenvermögen, durch welche diese Gegenstände sollen erkannt werden, nach den Meinungen über die Gegenstände selbst; und erst muß man so viel Metaphysik haben, um diese Meinungen berichtigen zu können, ehe man nur fragen darf, welche Fähigkeit für übersinnliche Erkenntniß dem Menschen beywohnen möge. Konnte man falschen Speculationen zu Gefallen eine falsche Logik ersinnen, so wagt man es auch mit der Psychologie. Nur die Erfahrung wird sich nicht beugen lassen. 88. Noch gehören hieher die gereinigten geometri- schen Begriffe von Körpern, als gleichförmigen Continuen, von vollkommenen Flächen, Linien, Punkten. Auch sie über- schreiten die Erfahrung, oder vielmehr, die Erfahrung überschreitet sie; weil jeder sinnliche Gegenstand diesen Begriffen etwas zumischt, wodurch er sie entstellt. Die Frage nach den Seelenvermögen, welche die Grund-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/79>, abgerufen am 28.03.2024.