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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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IV.
Versuch
über die
Gothische
Baukunst.


Aus dem Jtalienischen.



Gerade und kreislaufende Linien sind die
einzigen, deren Vitruv in seinem Werke
über die Baukunst erwähnt, und die man
von den römischen und griechischen Architekten
in ihren Tempeln und Pallästen angebracht
sieht. Man verband in jenen Zeiten die
Pracht mit der Einfalt, und man glaubte,
daß die Baukunst die Einfalt der Geometrie,
die die zusammengesetzten Linien verläßt, wenn
sich die Aufgaben mit geraden und kraislau-
fenden auflösen lassen, beybehalten müsse.
Man brauchte in Bögen, Gewölben, Gie-
beln u. d. niemals jene krummen Linien,
welche seit den Zeiten des Boromini so häufig
bey Gebäuden angebracht worden sind, und
selbst die Schnecken an den Knäufen machte
man nur aus Halbkraisen von verschiedenen
Verhältnissen. Palladio und Jones sind

den
IV.
Verſuch
uͤber die
Gothiſche
Baukunſt.


Aus dem Jtalieniſchen.



Gerade und kreislaufende Linien ſind die
einzigen, deren Vitruv in ſeinem Werke
uͤber die Baukunſt erwaͤhnt, und die man
von den roͤmiſchen und griechiſchen Architekten
in ihren Tempeln und Pallaͤſten angebracht
ſieht. Man verband in jenen Zeiten die
Pracht mit der Einfalt, und man glaubte,
daß die Baukunſt die Einfalt der Geometrie,
die die zuſammengeſetzten Linien verlaͤßt, wenn
ſich die Aufgaben mit geraden und kraislau-
fenden aufloͤſen laſſen, beybehalten muͤſſe.
Man brauchte in Boͤgen, Gewoͤlben, Gie-
beln u. d. niemals jene krummen Linien,
welche ſeit den Zeiten des Boromini ſo haͤufig
bey Gebaͤuden angebracht worden ſind, und
ſelbſt die Schnecken an den Knaͤufen machte
man nur aus Halbkraiſen von verſchiedenen
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[139/0143] IV. Verſuch uͤber die Gothiſche Baukunſt. Aus dem Jtalieniſchen. Gerade und kreislaufende Linien ſind die einzigen, deren Vitruv in ſeinem Werke uͤber die Baukunſt erwaͤhnt, und die man von den roͤmiſchen und griechiſchen Architekten in ihren Tempeln und Pallaͤſten angebracht ſieht. Man verband in jenen Zeiten die Pracht mit der Einfalt, und man glaubte, daß die Baukunſt die Einfalt der Geometrie, die die zuſammengeſetzten Linien verlaͤßt, wenn ſich die Aufgaben mit geraden und kraislau- fenden aufloͤſen laſſen, beybehalten muͤſſe. Man brauchte in Boͤgen, Gewoͤlben, Gie- beln u. d. niemals jene krummen Linien, welche ſeit den Zeiten des Boromini ſo haͤufig bey Gebaͤuden angebracht worden ſind, und ſelbſt die Schnecken an den Knaͤufen machte man nur aus Halbkraiſen von verſchiedenen Verhaͤltniſſen. Palladio und Jones ſind den

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/143>, abgerufen am 29.03.2024.