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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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Trauriger und wichtiger wird der Gedanke,
daß auch diesergrosse Schöpfer von Geschichte
und Weltseele immer mehr veralte! daß da
Worte und Sitten und Gattungen der Zeit-
alter, wie ein Herbst von Blättern welken
und absinken, wir schon jetzt aus diesen gros-
sen Trümmern der Ritternatur so weit heraus
sind, daß selbst Garrik, der Wiedererwek-
ker und Schutzengel auf seinem Grabe, so
viel ändern, auslassen, verstümmeln muß,
und bald vielleicht, da sich alles so sehr ver-
wischt und anders wohin neiget, auch sein
Drama der lebendigen Vorstellung ganz un-
fähig werden, und eine Trümmer von Ko-
lossus, von Pyramide seyn wird, die Jeder
anstaunet und keiner begreift. Glücklich,
daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo
ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein
Freund, der du dich bey diesem Lesen erken-
nest und fühlst, und den ich vor seinem heili-
gen Bilde mehr als Einmal umarmet, wo
du noch den süssen und deiner würdigen
Traum haben kannst, sein Denkmal aus
unsern Ritterzeiten
in unsrer Sprache,
unserm so weit abgearteten Vaterlande her-
zustellen. Jch beneide dir den Traum, und
dein edles deutsches Würken laß nicht nach,
bis der Kranz dort oben hange. Und solltest
du alsdenn auch später sehen, wie unter deinem

Ge-

Trauriger und wichtiger wird der Gedanke,
daß auch dieſergroſſe Schoͤpfer von Geſchichte
und Weltſeele immer mehr veralte! daß da
Worte und Sitten und Gattungen der Zeit-
alter, wie ein Herbſt von Blaͤttern welken
und abſinken, wir ſchon jetzt aus dieſen groſ-
ſen Truͤmmern der Ritternatur ſo weit heraus
ſind, daß ſelbſt Garrik, der Wiedererwek-
ker und Schutzengel auf ſeinem Grabe, ſo
viel aͤndern, auslaſſen, verſtuͤmmeln muß,
und bald vielleicht, da ſich alles ſo ſehr ver-
wiſcht und anders wohin neiget, auch ſein
Drama der lebendigen Vorſtellung ganz un-
faͤhig werden, und eine Truͤmmer von Ko-
loſſus, von Pyramide ſeyn wird, die Jeder
anſtaunet und keiner begreift. Gluͤcklich,
daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo
ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein
Freund, der du dich bey dieſem Leſen erken-
neſt und fuͤhlſt, und den ich vor ſeinem heili-
gen Bilde mehr als Einmal umarmet, wo
du noch den ſuͤſſen und deiner wuͤrdigen
Traum haben kannſt, ſein Denkmal aus
unſern Ritterzeiten
in unſrer Sprache,
unſerm ſo weit abgearteten Vaterlande her-
zuſtellen. Jch beneide dir den Traum, und
dein edles deutſches Wuͤrken laß nicht nach,
bis der Kranz dort oben hange. Und ſollteſt
du alsdenn auch ſpaͤter ſehen, wie unter deinem

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[112/0116] Trauriger und wichtiger wird der Gedanke, daß auch dieſergroſſe Schoͤpfer von Geſchichte und Weltſeele immer mehr veralte! daß da Worte und Sitten und Gattungen der Zeit- alter, wie ein Herbſt von Blaͤttern welken und abſinken, wir ſchon jetzt aus dieſen groſ- ſen Truͤmmern der Ritternatur ſo weit heraus ſind, daß ſelbſt Garrik, der Wiedererwek- ker und Schutzengel auf ſeinem Grabe, ſo viel aͤndern, auslaſſen, verſtuͤmmeln muß, und bald vielleicht, da ſich alles ſo ſehr ver- wiſcht und anders wohin neiget, auch ſein Drama der lebendigen Vorſtellung ganz un- faͤhig werden, und eine Truͤmmer von Ko- loſſus, von Pyramide ſeyn wird, die Jeder anſtaunet und keiner begreift. Gluͤcklich, daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein Freund, der du dich bey dieſem Leſen erken- neſt und fuͤhlſt, und den ich vor ſeinem heili- gen Bilde mehr als Einmal umarmet, wo du noch den ſuͤſſen und deiner wuͤrdigen Traum haben kannſt, ſein Denkmal aus unſern Ritterzeiten in unſrer Sprache, unſerm ſo weit abgearteten Vaterlande her- zuſtellen. Jch beneide dir den Traum, und dein edles deutſches Wuͤrken laß nicht nach, bis der Kranz dort oben hange. Und ſollteſt du alsdenn auch ſpaͤter ſehen, wie unter deinem Ge-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/116>, abgerufen am 23.04.2024.