Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese karackteristische Kunst, ist nun die
einzige wahre. Wenn sie aus inniger, eini-
ger, eigner, selbstständiger Empfindung um
sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend alles
Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit,
oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboh-
ren werden, sie ist ganz und lebendig. Da
seht ihr bey Nationen und einzelnen Men-
schen dann unzählige Grade. Jemehr sich
die Seele erhebt zu dem Gefühl der Verhält-
nisse, die allein schön und von Ewigkeit sind,
deren Hauptakkorde man beweisen, deren
Geheimnisse man nur fühlen kann, in denen
sich allein das Leben des gottgleichen Genius
in seeligen Melodien herumwälzt; jemehr
diese Schönheit in das Wesen eines Geistes
eindringt, daß sie mit ihm entstanden zu seyn
scheint, daß ihm nichts genugthut als sie,
daß er nichts aus sich wirkt als sie, desto glück-
licher ist er, desto tiefgebeugter stehen wir da
und beten an den Gesalbten Gottes.

Und von der Stufe, auf welche Erwin
gestiegen ist, wird ihn keiner herabstossen.
Hier steht sein Werk, tretet hin, und erkennt
das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schön-
heit der Verhältnisse, würkend aus starker,
rauher, deutscher Seele, auf dem eingeschränk-
ten düstern Pfaffenschauplatz des medii aevi.

Und
J 3

Dieſe karackteriſtiſche Kunſt, iſt nun die
einzige wahre. Wenn ſie aus inniger, eini-
ger, eigner, ſelbſtſtaͤndiger Empfindung um
ſich wirkt, unbekuͤmmert, ja unwiſſend alles
Fremden, da mag ſie aus rauher Wildheit,
oder aus gebildeter Empfindſamkeit geboh-
ren werden, ſie iſt ganz und lebendig. Da
ſeht ihr bey Nationen und einzelnen Men-
ſchen dann unzaͤhlige Grade. Jemehr ſich
die Seele erhebt zu dem Gefuͤhl der Verhaͤlt-
niſſe, die allein ſchoͤn und von Ewigkeit ſind,
deren Hauptakkorde man beweiſen, deren
Geheimniſſe man nur fuͤhlen kann, in denen
ſich allein das Leben des gottgleichen Genius
in ſeeligen Melodien herumwaͤlzt; jemehr
dieſe Schoͤnheit in das Weſen eines Geiſtes
eindringt, daß ſie mit ihm entſtanden zu ſeyn
ſcheint, daß ihm nichts genugthut als ſie,
daß er nichts aus ſich wirkt als ſie, deſto gluͤck-
licher iſt er, deſto tiefgebeugter ſtehen wir da
und beten an den Geſalbten Gottes.

Und von der Stufe, auf welche Erwin
geſtiegen iſt, wird ihn keiner herabſtoſſen.
Hier ſteht ſein Werk, tretet hin, und erkennt
das tiefſte Gefuͤhl von Wahrheit und Schoͤn-
heit der Verhaͤltniſſe, wuͤrkend aus ſtarker,
rauher, deutſcher Seele, auf dem eingeſchraͤnk-
ten duͤſtern Pfaffenſchauplatz des medii aevi.

Und
J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0137" n="133"/>
          <p>Die&#x017F;e karackteri&#x017F;ti&#x017F;che Kun&#x017F;t, i&#x017F;t nun die<lb/>
einzige wahre. Wenn &#x017F;ie aus inniger, eini-<lb/>
ger, eigner, &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndiger Empfindung um<lb/>
&#x017F;ich wirkt, unbeku&#x0364;mmert, ja unwi&#x017F;&#x017F;end alles<lb/>
Fremden, da mag &#x017F;ie aus rauher Wildheit,<lb/>
oder aus gebildeter Empfind&#x017F;amkeit geboh-<lb/>
ren werden, &#x017F;ie i&#x017F;t ganz und lebendig. Da<lb/>
&#x017F;eht ihr bey Nationen und einzelnen Men-<lb/>
&#x017F;chen dann unza&#x0364;hlige Grade. Jemehr &#x017F;ich<lb/>
die Seele erhebt zu dem Gefu&#x0364;hl der Verha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, die allein &#x017F;cho&#x0364;n und von Ewigkeit &#x017F;ind,<lb/>
deren Hauptakkorde man bewei&#x017F;en, deren<lb/>
Geheimni&#x017F;&#x017F;e man nur fu&#x0364;hlen kann, in denen<lb/>
&#x017F;ich allein das Leben des gottgleichen Genius<lb/>
in &#x017F;eeligen Melodien herumwa&#x0364;lzt; jemehr<lb/>
die&#x017F;e Scho&#x0364;nheit in das We&#x017F;en eines Gei&#x017F;tes<lb/>
eindringt, daß &#x017F;ie mit ihm ent&#x017F;tanden zu &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;cheint, daß ihm nichts genugthut als &#x017F;ie,<lb/>
daß er nichts aus &#x017F;ich wirkt als &#x017F;ie, de&#x017F;to glu&#x0364;ck-<lb/>
licher i&#x017F;t er, de&#x017F;to tiefgebeugter &#x017F;tehen wir da<lb/>
und beten an den Ge&#x017F;albten Gottes.</p><lb/>
          <p>Und von der Stufe, auf welche <hi rendition="#fr">Erwin</hi><lb/>
ge&#x017F;tiegen i&#x017F;t, wird ihn keiner herab&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Hier &#x017F;teht &#x017F;ein Werk, tretet hin, und erkennt<lb/>
das tief&#x017F;te Gefu&#x0364;hl von Wahrheit und Scho&#x0364;n-<lb/>
heit der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, wu&#x0364;rkend aus &#x017F;tarker,<lb/>
rauher, deut&#x017F;cher Seele, auf dem einge&#x017F;chra&#x0364;nk-<lb/>
ten du&#x0364;&#x017F;tern Pfaffen&#x017F;chauplatz des <hi rendition="#aq">medii aevi.</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0137] Dieſe karackteriſtiſche Kunſt, iſt nun die einzige wahre. Wenn ſie aus inniger, eini- ger, eigner, ſelbſtſtaͤndiger Empfindung um ſich wirkt, unbekuͤmmert, ja unwiſſend alles Fremden, da mag ſie aus rauher Wildheit, oder aus gebildeter Empfindſamkeit geboh- ren werden, ſie iſt ganz und lebendig. Da ſeht ihr bey Nationen und einzelnen Men- ſchen dann unzaͤhlige Grade. Jemehr ſich die Seele erhebt zu dem Gefuͤhl der Verhaͤlt- niſſe, die allein ſchoͤn und von Ewigkeit ſind, deren Hauptakkorde man beweiſen, deren Geheimniſſe man nur fuͤhlen kann, in denen ſich allein das Leben des gottgleichen Genius in ſeeligen Melodien herumwaͤlzt; jemehr dieſe Schoͤnheit in das Weſen eines Geiſtes eindringt, daß ſie mit ihm entſtanden zu ſeyn ſcheint, daß ihm nichts genugthut als ſie, daß er nichts aus ſich wirkt als ſie, deſto gluͤck- licher iſt er, deſto tiefgebeugter ſtehen wir da und beten an den Geſalbten Gottes. Und von der Stufe, auf welche Erwin geſtiegen iſt, wird ihn keiner herabſtoſſen. Hier ſteht ſein Werk, tretet hin, und erkennt das tiefſte Gefuͤhl von Wahrheit und Schoͤn- heit der Verhaͤltniſſe, wuͤrkend aus ſtarker, rauher, deutſcher Seele, auf dem eingeſchraͤnk- ten duͤſtern Pfaffenſchauplatz des medii aevi. Und J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/137
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/137>, abgerufen am 19.04.2024.