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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Der Schild Achilles zeigt bei ihm, wie er
sich die Welt dachte; unbefangen sah er
ihre mancherlei, einander oft nahe entge-
gengesetzten Scenen; fröhliche und traurige,
ruhige und stürmische Scenen, und schil-
dert sie, wie dort Vulkan sie hammerte,
glänzend und unvergänglich. Wem Homers
Muse den Nebel vom Auge nimmt, ge-
winnet über die Dinge der Welt gewiß
eine große, weise und am Ende fröliche
Aussicht.

Wie Achill mit seiner Leyer den Un-
muth sich zu zerstreuen suchte: so war es
das Amt der lyrischen Dichter der
Menschen Herz zur Mäßigung in Glück
und Unglück zu stimmen und es zur Freu-
de, Freundschaft und Heiterkeit zu ermun-
tern. Leider sind die meisten derselben un-
tergegangen; die übriggebliebenen Reste
aber zeigen diese Bestimmung. Pindar

Der Schild Achilles zeigt bei ihm, wie er
ſich die Welt dachte; unbefangen ſah er
ihre mancherlei, einander oft nahe entge-
gengeſetzten Scenen; froͤhliche und traurige,
ruhige und ſtuͤrmiſche Scenen, und ſchil-
dert ſie, wie dort Vulkan ſie hammerte,
glaͤnzend und unvergaͤnglich. Wem Homers
Muſe den Nebel vom Auge nimmt, ge-
winnet uͤber die Dinge der Welt gewiß
eine große, weiſe und am Ende froͤliche
Ausſicht.

Wie Achill mit ſeiner Leyer den Un-
muth ſich zu zerſtreuen ſuchte: ſo war es
das Amt der lyriſchen Dichter der
Menſchen Herz zur Maͤßigung in Gluͤck
und Ungluͤck zu ſtimmen und es zur Freu-
de, Freundſchaft und Heiterkeit zu ermun-
tern. Leider ſind die meiſten derſelben un-
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aber zeigen dieſe Beſtimmung. Pindar

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[104/0113] Der Schild Achilles zeigt bei ihm, wie er ſich die Welt dachte; unbefangen ſah er ihre mancherlei, einander oft nahe entge- gengeſetzten Scenen; froͤhliche und traurige, ruhige und ſtuͤrmiſche Scenen, und ſchil- dert ſie, wie dort Vulkan ſie hammerte, glaͤnzend und unvergaͤnglich. Wem Homers Muſe den Nebel vom Auge nimmt, ge- winnet uͤber die Dinge der Welt gewiß eine große, weiſe und am Ende froͤliche Ausſicht. Wie Achill mit ſeiner Leyer den Un- muth ſich zu zerſtreuen ſuchte: ſo war es das Amt der lyriſchen Dichter der Menſchen Herz zur Maͤßigung in Gluͤck und Ungluͤck zu ſtimmen und es zur Freu- de, Freundſchaft und Heiterkeit zu ermun- tern. Leider ſind die meiſten derſelben un- tergegangen; die uͤbriggebliebenen Reſte aber zeigen dieſe Beſtimmung. Pindar

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/113>, abgerufen am 24.04.2024.