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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Der Mensch hat einen Willen, er ist
des Gesetzes fähig: seine Vernunft ist ihm
Gesetz. Ein heiliges, unverbrüchliches Ge-
setz, dem er sich nie entziehen darf, dem
er sich nie entziehen soll. Er ist nicht etwa
nur ein mechanisches Glied der Naturkette;
sondern der Geist, der die Natur beherrscht,
ist Theilweise in ihm. Jener soll er fol-
gen; die Dinge um ihn her, insonderheit
seine eigne Handlungen soll er dem allge-
meinen Principium der Welt gemäß anord-
nen. Hierinn ist er keinem Zwange unter-
worfen, ja er ist keines Zwanges fähig.
Er constituiret sich selbst; er constituirt mit
andern ihm Gleichgesinnten nach heiligen,
unverbrüchlichen Gesetzen eine Gesellschaft.
Nach solchen ist er Freund, Bürger, Ehe-
mann, Vater; Mitbürger endlich der gro-
ßen Stadt Gottes auf Erden, die nur
Ein Gesetz, Ein Dämon, der Geist einer

Der Menſch hat einen Willen, er iſt
des Geſetzes faͤhig: ſeine Vernunft iſt ihm
Geſetz. Ein heiliges, unverbruͤchliches Ge-
ſetz, dem er ſich nie entziehen darf, dem
er ſich nie entziehen ſoll. Er iſt nicht etwa
nur ein mechaniſches Glied der Naturkette;
ſondern der Geiſt, der die Natur beherrſcht,
iſt Theilweiſe in ihm. Jener ſoll er fol-
gen; die Dinge um ihn her, inſonderheit
ſeine eigne Handlungen ſoll er dem allge-
meinen Principium der Welt gemaͤß anord-
nen. Hierinn iſt er keinem Zwange unter-
worfen, ja er iſt keines Zwanges faͤhig.
Er conſtituiret ſich ſelbſt; er conſtituirt mit
andern ihm Gleichgeſinnten nach heiligen,
unverbruͤchlichen Geſetzen eine Geſellſchaft.
Nach ſolchen iſt er Freund, Buͤrger, Ehe-
mann, Vater; Mitbuͤrger endlich der gro-
ßen Stadt Gottes auf Erden, die nur
Ein Geſetz, Ein Daͤmon, der Geiſt einer

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[24/0033] Der Menſch hat einen Willen, er iſt des Geſetzes faͤhig: ſeine Vernunft iſt ihm Geſetz. Ein heiliges, unverbruͤchliches Ge- ſetz, dem er ſich nie entziehen darf, dem er ſich nie entziehen ſoll. Er iſt nicht etwa nur ein mechaniſches Glied der Naturkette; ſondern der Geiſt, der die Natur beherrſcht, iſt Theilweiſe in ihm. Jener ſoll er fol- gen; die Dinge um ihn her, inſonderheit ſeine eigne Handlungen ſoll er dem allge- meinen Principium der Welt gemaͤß anord- nen. Hierinn iſt er keinem Zwange unter- worfen, ja er iſt keines Zwanges faͤhig. Er conſtituiret ſich ſelbſt; er conſtituirt mit andern ihm Gleichgeſinnten nach heiligen, unverbruͤchlichen Geſetzen eine Geſellſchaft. Nach ſolchen iſt er Freund, Buͤrger, Ehe- mann, Vater; Mitbuͤrger endlich der gro- ßen Stadt Gottes auf Erden, die nur Ein Geſetz, Ein Daͤmon, der Geiſt einer

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/33>, abgerufen am 24.04.2024.