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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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den letzten nur Shakespeare anführen;
wie viel andre möchten zu nennen seyn!
Die größten Erfindungen sind in den Zei-
ten gemacht, die wir barbarische, rohe
Zeiten nennen; vielleicht haben in ihnen
auch die größesten Männer gelebet. Da-
mals standen die Köpfe noch nicht so dicht
an einander; jeder hatte zum eignen Den-
ken freien Raum; um sie war Dämmerung;
desto munterer aber wirkten sie, und dorf-
ten in der Mittagssonne der Alten eben
noch nicht erblinden. Wie Ein Roger
Baco
vor hundert Commentatoren des
Aristoteles gilt: so giebt es romantische
Gedichte der mittleren, selbst der neueren
Zeit, bei denen man den Geschmack der
Alten gern vergißt und in ihnen wie im
Feenreich lustwandelt. Ich erinnere Sie
an so manche Romane, die uns der Graf
Treßan und seine Gehülfen gegeben, ja

seit

den letzten nur Shakeſpeare anfuͤhren;
wie viel andre moͤchten zu nennen ſeyn!
Die groͤßten Erfindungen ſind in den Zei-
ten gemacht, die wir barbariſche, rohe
Zeiten nennen; vielleicht haben in ihnen
auch die groͤßeſten Maͤnner gelebet. Da-
mals ſtanden die Koͤpfe noch nicht ſo dicht
an einander; jeder hatte zum eignen Den-
ken freien Raum; um ſie war Daͤmmerung;
deſto munterer aber wirkten ſie, und dorf-
ten in der Mittagsſonne der Alten eben
noch nicht erblinden. Wie Ein Roger
Baco
vor hundert Commentatoren des
Ariſtoteles gilt: ſo giebt es romantiſche
Gedichte der mittleren, ſelbſt der neueren
Zeit, bei denen man den Geſchmack der
Alten gern vergißt und in ihnen wie im
Feenreich luſtwandelt. Ich erinnere Sie
an ſo manche Romane, die uns der Graf
Treßan und ſeine Gehuͤlfen gegeben, ja

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[16/0035] den letzten nur Shakeſpeare anfuͤhren; wie viel andre moͤchten zu nennen ſeyn! Die groͤßten Erfindungen ſind in den Zei- ten gemacht, die wir barbariſche, rohe Zeiten nennen; vielleicht haben in ihnen auch die groͤßeſten Maͤnner gelebet. Da- mals ſtanden die Koͤpfe noch nicht ſo dicht an einander; jeder hatte zum eignen Den- ken freien Raum; um ſie war Daͤmmerung; deſto munterer aber wirkten ſie, und dorf- ten in der Mittagsſonne der Alten eben noch nicht erblinden. Wie Ein Roger Baco vor hundert Commentatoren des Ariſtoteles gilt: ſo giebt es romantiſche Gedichte der mittleren, ſelbſt der neueren Zeit, bei denen man den Geſchmack der Alten gern vergißt und in ihnen wie im Feenreich luſtwandelt. Ich erinnere Sie an ſo manche Romane, die uns der Graf Treßan und ſeine Gehuͤlfen gegeben, ja ſeit

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/35>, abgerufen am 28.03.2024.