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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Kritische Wälder.
thum und Menschlichkeit bei ihnen und bei den Bar-
baren hervorbrachten, oder nicht hervorbrachten.
Sollten uns diese Gründe nicht auf den Weg brin-
gen: worinn und woher auch die Griechen so em-
pfindbar gewesen?

4.

1. Wenn es eine Zeit giebt, da das Wort Va-
terland
noch nicht ein leerer Schall ist, sondern

-- -- ein Silberton dem Ohr
Licht dem Verstand und hoher Flug zum Denken,
Dem Herzen groß Gefühl --

so muß der Name Vaterland so gut den Dichter
zum Helden, als den Helden zum Dichter, und
beide zu theilnehmenden Söhnen ihres Vaterlandes
machen. Der Held wird dafür streiten, der Dich-
ter singen, und wenn sie beide es nicht mehr retten
können, beide noch als Söhne darum weinen: und
ist nun Dichter und Held, und Sohn des Vater-
landes Eine Person -- so ist dies die Zeit der Pa-
triotischen Klagelieder.
Nicht aus einer sich
übenden Schulfeder; aus dem vollen Herzen werden
diese fließen; nicht blos auf dem Papier, sondern
im Gedächtniß, in der Seele leben; die Stimme
der Ueberlieferung wird sie aufbehalten, der Mund
des Volks sie singen: sie werden Thränen und Tha-
ten wecken: ein Schatz des Vaterlandes, und das
Gefühl, das sie besingen und wirken, Gefühl des

Volks,

Kritiſche Waͤlder.
thum und Menſchlichkeit bei ihnen und bei den Bar-
baren hervorbrachten, oder nicht hervorbrachten.
Sollten uns dieſe Gruͤnde nicht auf den Weg brin-
gen: worinn und woher auch die Griechen ſo em-
pfindbar geweſen?

4.

1. Wenn es eine Zeit giebt, da das Wort Va-
terland
noch nicht ein leerer Schall iſt, ſondern

— — ein Silberton dem Ohr
Licht dem Verſtand und hoher Flug zum Denken,
Dem Herzen groß Gefuͤhl —

ſo muß der Name Vaterland ſo gut den Dichter
zum Helden, als den Helden zum Dichter, und
beide zu theilnehmenden Soͤhnen ihres Vaterlandes
machen. Der Held wird dafuͤr ſtreiten, der Dich-
ter ſingen, und wenn ſie beide es nicht mehr retten
koͤnnen, beide noch als Soͤhne darum weinen: und
iſt nun Dichter und Held, und Sohn des Vater-
landes Eine Perſon — ſo iſt dies die Zeit der Pa-
triotiſchen Klagelieder.
Nicht aus einer ſich
uͤbenden Schulfeder; aus dem vollen Herzen werden
dieſe fließen; nicht blos auf dem Papier, ſondern
im Gedaͤchtniß, in der Seele leben; die Stimme
der Ueberlieferung wird ſie aufbehalten, der Mund
des Volks ſie ſingen: ſie werden Thraͤnen und Tha-
ten wecken: ein Schatz des Vaterlandes, und das
Gefuͤhl, das ſie beſingen und wirken, Gefuͤhl des

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[42/0048] Kritiſche Waͤlder. thum und Menſchlichkeit bei ihnen und bei den Bar- baren hervorbrachten, oder nicht hervorbrachten. Sollten uns dieſe Gruͤnde nicht auf den Weg brin- gen: worinn und woher auch die Griechen ſo em- pfindbar geweſen? 4. 1. Wenn es eine Zeit giebt, da das Wort Va- terland noch nicht ein leerer Schall iſt, ſondern — — ein Silberton dem Ohr Licht dem Verſtand und hoher Flug zum Denken, Dem Herzen groß Gefuͤhl — ſo muß der Name Vaterland ſo gut den Dichter zum Helden, als den Helden zum Dichter, und beide zu theilnehmenden Soͤhnen ihres Vaterlandes machen. Der Held wird dafuͤr ſtreiten, der Dich- ter ſingen, und wenn ſie beide es nicht mehr retten koͤnnen, beide noch als Soͤhne darum weinen: und iſt nun Dichter und Held, und Sohn des Vater- landes Eine Perſon — ſo iſt dies die Zeit der Pa- triotiſchen Klagelieder. Nicht aus einer ſich uͤbenden Schulfeder; aus dem vollen Herzen werden dieſe fließen; nicht blos auf dem Papier, ſondern im Gedaͤchtniß, in der Seele leben; die Stimme der Ueberlieferung wird ſie aufbehalten, der Mund des Volks ſie ſingen: ſie werden Thraͤnen und Tha- ten wecken: ein Schatz des Vaterlandes, und das Gefuͤhl, das ſie beſingen und wirken, Gefuͤhl des Volks,

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/48>, abgerufen am 25.04.2024.