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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
"Leser unwillig, verdrüßlich: man muß Stellen,
"Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone seines
"Gedichts zu bleiben." O göttlicher Sänger!
wenn du auflebest, so gieb doch erst deinen Lesern
Ohr: gieb ihnen Musik der Seele!

Die Kritik über den ehrwürdig lächerlichen Pa-
ter Ceva mit seinem Jesuskindlein a) kann ich über-
gehen; sie gehört nicht hieher, denn Ceva wollte schon
so ein heroischkomisches Gedicht, oder lieber ein Nar-
rengemische, schreiben: und welche Ehre! wenn ein
Ceva zwischen Homer und Lope di Vega und
Milton stehet! -- So kann ich auch die lange
Schuldeklamation wider die geschmacklosen Ken-
ner der Alten b) überschlagen: die Gelegenheit, die
sie an diesen Ort gebracht, scheint sie -- -- doch
wer will deuten? -- Ein Glück ists, in einem
Buche, wie die homerischen Briefe, wieder zwölf
Seiten weg schlagen können; und siehe! es war
Nichts! Nichts für Homer; für Wissenschaft, für
Geschmack Nichts! --

5.

Statt uns homerische Betrachtungen mitzu-
theilen, schüttet Hr. Kl. einen locum communem
aus seinem Collektaneenbuche: ob es uns frei stehe,
heidnische Mythologien in Gedichten zu adopti-

ren
a) p. 36. &c.
b) p. 44-55.

Kritiſche Waͤlder.
„Leſer unwillig, verdruͤßlich: man muß Stellen,
„Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone ſeines
„Gedichts zu bleiben.„ O goͤttlicher Saͤnger!
wenn du auflebeſt, ſo gieb doch erſt deinen Leſern
Ohr: gieb ihnen Muſik der Seele!

Die Kritik uͤber den ehrwuͤrdig laͤcherlichen Pa-
ter Ceva mit ſeinem Jeſuskindlein a) kann ich uͤber-
gehen; ſie gehoͤrt nicht hieher, denn Ceva wollte ſchon
ſo ein heroiſchkomiſches Gedicht, oder lieber ein Nar-
rengemiſche, ſchreiben: und welche Ehre! wenn ein
Ceva zwiſchen Homer und Lope di Vega und
Milton ſtehet! — So kann ich auch die lange
Schuldeklamation wider die geſchmackloſen Ken-
ner der Alten b) uͤberſchlagen: die Gelegenheit, die
ſie an dieſen Ort gebracht, ſcheint ſie — — doch
wer will deuten? — Ein Gluͤck iſts, in einem
Buche, wie die homeriſchen Briefe, wieder zwoͤlf
Seiten weg ſchlagen koͤnnen; und ſiehe! es war
Nichts! Nichts fuͤr Homer; fuͤr Wiſſenſchaft, fuͤr
Geſchmack Nichts! —

5.

Statt uns homeriſche Betrachtungen mitzu-
theilen, ſchuͤttet Hr. Kl. einen locum communem
aus ſeinem Collektaneenbuche: ob es uns frei ſtehe,
heidniſche Mythologien in Gedichten zu adopti-

ren
a) p. 36. &c.
b) p. 44-55.
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[54/0060] Kritiſche Waͤlder. „Leſer unwillig, verdruͤßlich: man muß Stellen, „Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone ſeines „Gedichts zu bleiben.„ O goͤttlicher Saͤnger! wenn du auflebeſt, ſo gieb doch erſt deinen Leſern Ohr: gieb ihnen Muſik der Seele! Die Kritik uͤber den ehrwuͤrdig laͤcherlichen Pa- ter Ceva mit ſeinem Jeſuskindlein a) kann ich uͤber- gehen; ſie gehoͤrt nicht hieher, denn Ceva wollte ſchon ſo ein heroiſchkomiſches Gedicht, oder lieber ein Nar- rengemiſche, ſchreiben: und welche Ehre! wenn ein Ceva zwiſchen Homer und Lope di Vega und Milton ſtehet! — So kann ich auch die lange Schuldeklamation wider die geſchmackloſen Ken- ner der Alten b) uͤberſchlagen: die Gelegenheit, die ſie an dieſen Ort gebracht, ſcheint ſie — — doch wer will deuten? — Ein Gluͤck iſts, in einem Buche, wie die homeriſchen Briefe, wieder zwoͤlf Seiten weg ſchlagen koͤnnen; und ſiehe! es war Nichts! Nichts fuͤr Homer; fuͤr Wiſſenſchaft, fuͤr Geſchmack Nichts! — 5. Statt uns homeriſche Betrachtungen mitzu- theilen, ſchuͤttet Hr. Kl. einen locum communem aus ſeinem Collektaneenbuche: ob es uns frei ſtehe, heidniſche Mythologien in Gedichten zu adopti- ren a) p. 36. &c. b) p. 44-55.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/60>, abgerufen am 29.03.2024.