Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

gesichtspunkt betrachtet sind, ja von de-
nen man gar nur ein allgemeines, und
einseitiges Urtheil fällen konnte; weil es in
einer allgemeinen Bibliothek stehen sollte.
Auf die Art bildet man unvollkommene
Polyhistors, aber keine Pansophen der
Litteratur: das Werk wird ungleich,
und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex
toto nihil.
Man sieht es jedem Recen-
senten an, daß er uns mehr sagen konnte;
allein um des Allgemeinen willen muste
er sich in der Gottesgelahrtheit auf Tole-
ranzpredigten, in der Arznei- und Rechts-
lehre
auf die Gränzen dieser Wissenschaf-
ten, und in der Aesthetik auf Auszüge
einschränken.

Gewiß! Recensionen allein, machen
noch keine allgemeine Bibliothek aus;
Vergleichungen und Aussichten, Beob-
achtungen über Fehler und Tugenden, diese
karakterisiren den hohen kritischen Geist,
der zum Bibliothekar einer Nation gehört.
Das ganze Bild der himmlischen Göttin
lebte stets in der Seele des Zev[x]es, da er
von seinen irrdischen Göttinnen Reize

borg-

geſichtspunkt betrachtet ſind, ja von de-
nen man gar nur ein allgemeines, und
einſeitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in
einer allgemeinen Bibliothek ſtehen ſollte.
Auf die Art bildet man unvollkommene
Polyhiſtors, aber keine Panſophen der
Litteratur: das Werk wird ungleich,
und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex
toto nihil.
Man ſieht es jedem Recen-
ſenten an, daß er uns mehr ſagen konnte;
allein um des Allgemeinen willen muſte
er ſich in der Gottesgelahrtheit auf Tole-
ranzpredigten, in der Arznei- und Rechts-
lehre
auf die Graͤnzen dieſer Wiſſenſchaf-
ten, und in der Aeſthetik auf Auszuͤge
einſchraͤnken.

Gewiß! Recenſionen allein, machen
noch keine allgemeine Bibliothek aus;
Vergleichungen und Ausſichten, Beob-
achtungen uͤber Fehler und Tugenden, dieſe
karakteriſiren den hohen kritiſchen Geiſt,
der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt.
Das ganze Bild der himmliſchen Goͤttin
lebte ſtets in der Seele des Zev[x]es, da er
von ſeinen irrdiſchen Goͤttinnen Reize

borg-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="12"/>
ge&#x017F;ichtspunkt betrachtet &#x017F;ind, ja von de-<lb/>
nen man gar nur ein allgemeines, und<lb/>
ein&#x017F;eitiges Urtheil fa&#x0364;llen konnte; weil es in<lb/>
einer <hi rendition="#fr">allgemeinen</hi> Bibliothek &#x017F;tehen &#x017F;ollte.<lb/>
Auf die Art bildet man unvollkommene<lb/>
Polyhi&#x017F;tors, aber keine Pan&#x017F;ophen der<lb/>
Litteratur: das Werk wird ungleich,<lb/>
und mangelhaft: <hi rendition="#aq">ex omnibus aliquid, ex<lb/>
toto nihil.</hi> Man &#x017F;ieht es jedem Recen-<lb/>
&#x017F;enten an, daß er uns mehr &#x017F;agen <hi rendition="#fr">konnte;</hi><lb/>
allein um des <hi rendition="#fr">Allgemeinen</hi> willen mu&#x017F;te<lb/>
er &#x017F;ich in der Gottesgelahrtheit auf Tole-<lb/>
ranzpredigten, in der <hi rendition="#fr">Arznei-</hi> und <hi rendition="#fr">Rechts-<lb/>
lehre</hi> auf die Gra&#x0364;nzen die&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaf-<lb/>
ten, und in der <hi rendition="#fr">Ae&#x017F;thetik</hi> auf Auszu&#x0364;ge<lb/><hi rendition="#fr">ein&#x017F;chra&#x0364;nken.</hi></p><lb/>
        <p>Gewiß! Recen&#x017F;ionen allein, machen<lb/>
noch keine <hi rendition="#fr">allgemeine Bibliothek</hi> aus;<lb/>
Vergleichungen und Aus&#x017F;ichten, Beob-<lb/>
achtungen u&#x0364;ber Fehler und Tugenden, die&#x017F;e<lb/>
karakteri&#x017F;iren den hohen kriti&#x017F;chen Gei&#x017F;t,<lb/>
der zum Bibliothekar einer Nation geho&#x0364;rt.<lb/>
Das ganze Bild der himmli&#x017F;chen Go&#x0364;ttin<lb/>
lebte &#x017F;tets in der Seele des Zev<supplied>x</supplied>es, da er<lb/>
von &#x017F;einen irrdi&#x017F;chen Go&#x0364;ttinnen Reize<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">borg-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0016] geſichtspunkt betrachtet ſind, ja von de- nen man gar nur ein allgemeines, und einſeitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in einer allgemeinen Bibliothek ſtehen ſollte. Auf die Art bildet man unvollkommene Polyhiſtors, aber keine Panſophen der Litteratur: das Werk wird ungleich, und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex toto nihil. Man ſieht es jedem Recen- ſenten an, daß er uns mehr ſagen konnte; allein um des Allgemeinen willen muſte er ſich in der Gottesgelahrtheit auf Tole- ranzpredigten, in der Arznei- und Rechts- lehre auf die Graͤnzen dieſer Wiſſenſchaf- ten, und in der Aeſthetik auf Auszuͤge einſchraͤnken. Gewiß! Recenſionen allein, machen noch keine allgemeine Bibliothek aus; Vergleichungen und Ausſichten, Beob- achtungen uͤber Fehler und Tugenden, dieſe karakteriſiren den hohen kritiſchen Geiſt, der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt. Das ganze Bild der himmliſchen Goͤttin lebte ſtets in der Seele des Zevxes, da er von ſeinen irrdiſchen Goͤttinnen Reize borg-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/16
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/16>, abgerufen am 19.04.2024.