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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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"durch die Verschiedenheit ihrer Beugungen;
"Kurze und Ernst durch gut bezeichnete Ver-
"bindungen. Man gebe einem rohen Genie
"eine ganz rohe Sprache: es wird nichts
"vortrefliches hervorbringen können, als das
"Drama, und zwar dieses nur in seinen be-
"sten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden-
"schaften, zu lebhaften Bildern sind alle Spra-
"chen in den Händen eines Geniesreich. Aber
"der kältere zierliche Vortrag; der ernsthafte
"historische Styl; die gute Versifikation in
"der Dichtkunst, diese erfordern eine ganz be-
"arbeitete Sprache. Daher erscheinen auch
"die besten Schriftsteller von den lezten Ar-
"ten nicht vor dieser Periode, und wenn sie
"in ihrer Landessprache erscheinen: so haben
"sie dieselbe erst nach dem Muster einer an-
"dern gefeilet. Die Römer und Shakespea-
"re
und selbst die griechische Litteratur, wenn
"wir vor Homers Zeiten etwas gewissers als
"Muthmaßungen von ihr wüsten; können sich
"in diesem Punkte für mich verbürgen."

Wie fern ich mit dem Verfasser einerlei
Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen.



Von

„durch die Verſchiedenheit ihrer Beugungen;
„Kurze und Ernſt durch gut bezeichnete Ver-
„bindungen. Man gebe einem rohen Genie
„eine ganz rohe Sprache: es wird nichts
„vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das
„Drama, und zwar dieſes nur in ſeinen be-
„ſten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden-
„ſchaften, zu lebhaften Bildern ſind alle Spra-
„chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber
„der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernſthafte
„hiſtoriſche Styl; die gute Verſifikation in
„der Dichtkunſt, dieſe erfordern eine ganz be-
„arbeitete Sprache. Daher erſcheinen auch
„die beſten Schriftſteller von den lezten Ar-
„ten nicht vor dieſer Periode, und wenn ſie
„in ihrer Landesſprache erſcheinen: ſo haben
„ſie dieſelbe erſt nach dem Muſter einer an-
„dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakeſpea-
„re
und ſelbſt die griechiſche Litteratur, wenn
„wir vor Homers Zeiten etwas gewiſſers als
„Muthmaßungen von ihr wuͤſten; koͤnnen ſich
„in dieſem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen.„

Wie fern ich mit dem Verfaſſer einerlei
Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen.



Von
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[26/0030] „durch die Verſchiedenheit ihrer Beugungen; „Kurze und Ernſt durch gut bezeichnete Ver- „bindungen. Man gebe einem rohen Genie „eine ganz rohe Sprache: es wird nichts „vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das „Drama, und zwar dieſes nur in ſeinen be- „ſten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden- „ſchaften, zu lebhaften Bildern ſind alle Spra- „chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber „der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernſthafte „hiſtoriſche Styl; die gute Verſifikation in „der Dichtkunſt, dieſe erfordern eine ganz be- „arbeitete Sprache. Daher erſcheinen auch „die beſten Schriftſteller von den lezten Ar- „ten nicht vor dieſer Periode, und wenn ſie „in ihrer Landesſprache erſcheinen: ſo haben „ſie dieſelbe erſt nach dem Muſter einer an- „dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakeſpea- „re und ſelbſt die griechiſche Litteratur, wenn „wir vor Homers Zeiten etwas gewiſſers als „Muthmaßungen von ihr wuͤſten; koͤnnen ſich „in dieſem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen.„ Wie fern ich mit dem Verfaſſer einerlei Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen. Von

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/30>, abgerufen am 19.04.2024.