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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Das hohe Alter weiß statt Schönheit
blos von Richtigkeit. Diese entziehet ihrem
Reichthum, wie die Lacedämonische Diät die At-
tische Wohllust verbannet. Je mehr die Gram-
matici den Jnversionen Fesseln anlegen; je
mehr der Weltweise die Synonymen zu unter-
scheiden, oder wegzuwerfen sucht, je mehr er
statt der uneigentlichen eigentliche Worte ein-
führen kann; je mehr verlieret die Sprache
Reize: aber auch desto weniger wird sie sün-
digen. Ein Fremder in Sparta siehet keine
Unordnungen und keine Ergözzungen. Dies
ist das Philosophische Zeitalter der Sprache.



3.

Endlich kann ich Othem schöpfen, und uns-
rer Sprache näher treten. Man siehet von
selbst, daß diese Zeitalter so wenig zu einer
Zeit seyn können bei der Sprache, als bei
dem Menschen. Wenn sie zur Poesie am
höchsten geschickt ist: so kann sie nicht eine
höchst Philosophische Sprache seyn. So
wie Schönheit und Vollkommenheit nicht
einerlei ist: so ist auch die schönste und voll-

kommen-
C

Das hohe Alter weiß ſtatt Schoͤnheit
blos von Richtigkeit. Dieſe entziehet ihrem
Reichthum, wie die Lacedaͤmoniſche Diaͤt die At-
tiſche Wohlluſt verbannet. Je mehr die Gram-
matici den Jnverſionen Feſſeln anlegen; je
mehr der Weltweiſe die Synonymen zu unter-
ſcheiden, oder wegzuwerfen ſucht, je mehr er
ſtatt der uneigentlichen eigentliche Worte ein-
fuͤhren kann; je mehr verlieret die Sprache
Reize: aber auch deſto weniger wird ſie ſuͤn-
digen. Ein Fremder in Sparta ſiehet keine
Unordnungen und keine Ergoͤzzungen. Dies
iſt das Philoſophiſche Zeitalter der Sprache.



3.

Endlich kann ich Othem ſchoͤpfen, und unſ-
rer Sprache naͤher treten. Man ſiehet von
ſelbſt, daß dieſe Zeitalter ſo wenig zu einer
Zeit ſeyn koͤnnen bei der Sprache, als bei
dem Menſchen. Wenn ſie zur Poeſie am
hoͤchſten geſchickt iſt: ſo kann ſie nicht eine
hoͤchſt Philoſophiſche Sprache ſeyn. So
wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht
einerlei iſt: ſo iſt auch die ſchoͤnſte und voll-

kommen-
C
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[33/0037] Das hohe Alter weiß ſtatt Schoͤnheit blos von Richtigkeit. Dieſe entziehet ihrem Reichthum, wie die Lacedaͤmoniſche Diaͤt die At- tiſche Wohlluſt verbannet. Je mehr die Gram- matici den Jnverſionen Feſſeln anlegen; je mehr der Weltweiſe die Synonymen zu unter- ſcheiden, oder wegzuwerfen ſucht, je mehr er ſtatt der uneigentlichen eigentliche Worte ein- fuͤhren kann; je mehr verlieret die Sprache Reize: aber auch deſto weniger wird ſie ſuͤn- digen. Ein Fremder in Sparta ſiehet keine Unordnungen und keine Ergoͤzzungen. Dies iſt das Philoſophiſche Zeitalter der Sprache. 3. Endlich kann ich Othem ſchoͤpfen, und unſ- rer Sprache naͤher treten. Man ſiehet von ſelbſt, daß dieſe Zeitalter ſo wenig zu einer Zeit ſeyn koͤnnen bei der Sprache, als bei dem Menſchen. Wenn ſie zur Poeſie am hoͤchſten geſchickt iſt: ſo kann ſie nicht eine hoͤchſt Philoſophiſche Sprache ſeyn. So wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht einerlei iſt: ſo iſt auch die ſchoͤnſte und voll- kommen- C

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/37>, abgerufen am 25.04.2024.