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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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ein Rosenkranz abgezählter Kunstwörter. Jm-
mer ein Glück für den Dichter, und ein Un-
glück für den Weltweisen, daß die ersten Er-
finder der Sprache nicht Philosophen und die
ersten Ausbilder meistens Dichter gewesen sind.

Unsere Sprache hat also die Synonyme
eingeschränkt und bemühet sich statt Knechte,
Gold und Münzen zu sammlen. Man er-
laube mir die Wörter abstrakter Jdeen damit
zu vergleichen. Beide werden willkührlich
geprägt, und durch einen willkührlich festge-
sezzten Werth gäng und gäbe; die solidesten
unter beiden werden als Schäzze aufbewahrt;
das kleinere wird Scheidemünze. Auch auf
dieser Seite verliert unsre Poesie, in der der
eingebildete Werth schwindet, und blos der
natürliche gilt; wo die abstrakten Wörter
also blos gelten, nach dem Maas man sie
sinnlich darstellen kann. -- Durch unsre
Philosophen kann die Dichtkunst also nichts
gewinnen, und hat nichts gewonnen; so we-
nig als die Alten unsre Bücher-und Catheder-
sprache in allen ihren Nuancen übersezzen
könnten: so wenig können wir den Alten
nachsprechen.

Und

ein Roſenkranz abgezaͤhlter Kunſtwoͤrter. Jm-
mer ein Gluͤck fuͤr den Dichter, und ein Un-
gluͤck fuͤr den Weltweiſen, daß die erſten Er-
finder der Sprache nicht Philoſophen und die
erſten Ausbilder meiſtens Dichter geweſen ſind.

Unſere Sprache hat alſo die Synonyme
eingeſchraͤnkt und bemuͤhet ſich ſtatt Knechte,
Gold und Muͤnzen zu ſammlen. Man er-
laube mir die Woͤrter abſtrakter Jdeen damit
zu vergleichen. Beide werden willkuͤhrlich
gepraͤgt, und durch einen willkuͤhrlich feſtge-
ſezzten Werth gaͤng und gaͤbe; die ſolideſten
unter beiden werden als Schaͤzze aufbewahrt;
das kleinere wird Scheidemuͤnze. Auch auf
dieſer Seite verliert unſre Poeſie, in der der
eingebildete Werth ſchwindet, und blos der
natuͤrliche gilt; wo die abſtrakten Woͤrter
alſo blos gelten, nach dem Maas man ſie
ſinnlich darſtellen kann. — Durch unſre
Philoſophen kann die Dichtkunſt alſo nichts
gewinnen, und hat nichts gewonnen; ſo we-
nig als die Alten unſre Buͤcher-und Catheder-
ſprache in allen ihren Nuancen uͤberſezzen
koͤnnten: ſo wenig koͤnnen wir den Alten
nachſprechen.

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[61/0065] ein Roſenkranz abgezaͤhlter Kunſtwoͤrter. Jm- mer ein Gluͤck fuͤr den Dichter, und ein Un- gluͤck fuͤr den Weltweiſen, daß die erſten Er- finder der Sprache nicht Philoſophen und die erſten Ausbilder meiſtens Dichter geweſen ſind. Unſere Sprache hat alſo die Synonyme eingeſchraͤnkt und bemuͤhet ſich ſtatt Knechte, Gold und Muͤnzen zu ſammlen. Man er- laube mir die Woͤrter abſtrakter Jdeen damit zu vergleichen. Beide werden willkuͤhrlich gepraͤgt, und durch einen willkuͤhrlich feſtge- ſezzten Werth gaͤng und gaͤbe; die ſolideſten unter beiden werden als Schaͤzze aufbewahrt; das kleinere wird Scheidemuͤnze. Auch auf dieſer Seite verliert unſre Poeſie, in der der eingebildete Werth ſchwindet, und blos der natuͤrliche gilt; wo die abſtrakten Woͤrter alſo blos gelten, nach dem Maas man ſie ſinnlich darſtellen kann. — Durch unſre Philoſophen kann die Dichtkunſt alſo nichts gewinnen, und hat nichts gewonnen; ſo we- nig als die Alten unſre Buͤcher-und Catheder- ſprache in allen ihren Nuancen uͤberſezzen koͤnnten: ſo wenig koͤnnen wir den Alten nachſprechen. Und

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/65>, abgerufen am 28.03.2024.