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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Das Gespräch mit der Deutschen Muse
redet hier an meiner statt gegen die Franzo-
sen; und von den Englischen Dichtern ist mir
in den neuern Zeiten kein Stück bekannt, das
so viel als die Kriegslieder wiegen sollte;
die alten Ballads nehme ich aus, mit denen
wir uns freilich nicht messen können.

Und die beste seiner Schönheiten sind dazu
unübersezbar.* Die edle Einfalt, die
Deutsche rauhe Stärke, die Hoheit und Kür-
ze seiner Bilder, Schwung und Kolorit, alles
ist so sehr in die Laune, und in den Wohllaut
unsrer Sprache eingetaucht, daß diese wenige
Stücke gleichsam ein Gränzstein seyn können,
wo unsre Dichtkunst an Franzosen und Eng-
länder gränzt. Die Sprache des Grenadiers
kann, ohne zu verlieren, weder in Franzö-
sische Prose noch Poesie übergerragen werden,
und von der Englischen Poesie, die von Bei-
wörtern und Bildern strozzet, ** unterscheidet
sie sich eben so glücklich. Diese Sprache ist
die wahre Deutsche Nationallaune; ihr Deut-

sche!
* Litter. Br. Th. 16. p. 50.
** Kleists Werke: 2ter Th. Pros. Aufsätze.

Das Geſpraͤch mit der Deutſchen Muſe
redet hier an meiner ſtatt gegen die Franzo-
ſen; und von den Engliſchen Dichtern iſt mir
in den neuern Zeiten kein Stuͤck bekannt, das
ſo viel als die Kriegslieder wiegen ſollte;
die alten Ballads nehme ich aus, mit denen
wir uns freilich nicht meſſen koͤnnen.

Und die beſte ſeiner Schoͤnheiten ſind dazu
unuͤberſezbar.* Die edle Einfalt, die
Deutſche rauhe Staͤrke, die Hoheit und Kuͤr-
ze ſeiner Bilder, Schwung und Kolorit, alles
iſt ſo ſehr in die Laune, und in den Wohllaut
unſrer Sprache eingetaucht, daß dieſe wenige
Stuͤcke gleichſam ein Graͤnzſtein ſeyn koͤnnen,
wo unſre Dichtkunſt an Franzoſen und Eng-
laͤnder graͤnzt. Die Sprache des Grenadiers
kann, ohne zu verlieren, weder in Franzoͤ-
ſiſche Proſe noch Poeſie uͤbergerragen werden,
und von der Engliſchen Poeſie, die von Bei-
woͤrtern und Bildern ſtrozzet, ** unterſcheidet
ſie ſich eben ſo gluͤcklich. Dieſe Sprache iſt
die wahre Deutſche Nationallaune; ihr Deut-

ſche!
* Litter. Br. Th. 16. p. 50.
** Kleiſts Werke: 2ter Th. Proſ. Aufſaͤtze.
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[348/0180] Das Geſpraͤch mit der Deutſchen Muſe redet hier an meiner ſtatt gegen die Franzo- ſen; und von den Engliſchen Dichtern iſt mir in den neuern Zeiten kein Stuͤck bekannt, das ſo viel als die Kriegslieder wiegen ſollte; die alten Ballads nehme ich aus, mit denen wir uns freilich nicht meſſen koͤnnen. Und die beſte ſeiner Schoͤnheiten ſind dazu unuͤberſezbar. * Die edle Einfalt, die Deutſche rauhe Staͤrke, die Hoheit und Kuͤr- ze ſeiner Bilder, Schwung und Kolorit, alles iſt ſo ſehr in die Laune, und in den Wohllaut unſrer Sprache eingetaucht, daß dieſe wenige Stuͤcke gleichſam ein Graͤnzſtein ſeyn koͤnnen, wo unſre Dichtkunſt an Franzoſen und Eng- laͤnder graͤnzt. Die Sprache des Grenadiers kann, ohne zu verlieren, weder in Franzoͤ- ſiſche Proſe noch Poeſie uͤbergerragen werden, und von der Engliſchen Poeſie, die von Bei- woͤrtern und Bildern ſtrozzet, ** unterſcheidet ſie ſich eben ſo gluͤcklich. Dieſe Sprache iſt die wahre Deutſche Nationallaune; ihr Deut- ſche! * Litter. Br. Th. 16. p. 50. ** Kleiſts Werke: 2ter Th. Proſ. Aufſaͤtze.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/180>, abgerufen am 28.03.2024.