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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Die beste Art, einen Autor zu beurtheilen, ist
sein eigner Plan: dieser ist zu prüfen, zu bes-
sern und auszumalen. Diese Arbeit cha-
rakterisirt und bildet Genies; schwer und
nützlich zugleich! So beurtheilten die Littera-
turbriefe Süßmilchs Ordnung, Haugens
Zustand von Schwaben; Meiers Gedan-
ken über die gelehrte Sprache u. s. w.

Prüft man blos den Plan allgemein, und
sagt seine Gedanken drüber, ohne den V. nach
seinem Plan zu prüfen: so thut man weder
dem Ehrgeiz, noch der Demuth desselben
Gnüge. Man hält ihn zu sehr für Kind,
wenn man sein Ganzes verwirft, und zu we-
nig für Kind, wenn man sein Probstück nicht
ansehen will: corrige sodes! hieß es bei den
Schulhandlungen, und Dithyramben.

Bei mittelmäßigen V. deren freilich die
meiste sind, verstehe man die Kunst, die So-
krat bei Heraklits Schriften anwandte: ein
Täucher zu seyn, um Perlen heraufzuholen.
So machten es die Litteraturbriefe nach Ros-
kommons Rathe, bei dem Sonderling, den
Zerstreuungen und andern sehr mittelmäßi-

gen

Die beſte Art, einen Autor zu beurtheilen, iſt
ſein eigner Plan: dieſer iſt zu pruͤfen, zu beſ-
ſern und auszumalen. Dieſe Arbeit cha-
rakteriſirt und bildet Genies; ſchwer und
nuͤtzlich zugleich! So beurtheilten die Littera-
turbriefe Suͤßmilchs Ordnung, Haugens
Zuſtand von Schwaben; Meiers Gedan-
ken uͤber die gelehrte Sprache u. ſ. w.

Pruͤft man blos den Plan allgemein, und
ſagt ſeine Gedanken druͤber, ohne den V. nach
ſeinem Plan zu pruͤfen: ſo thut man weder
dem Ehrgeiz, noch der Demuth deſſelben
Gnuͤge. Man haͤlt ihn zu ſehr fuͤr Kind,
wenn man ſein Ganzes verwirft, und zu we-
nig fuͤr Kind, wenn man ſein Probſtuͤck nicht
anſehen will: corrige ſodes! hieß es bei den
Schulhandlungen, und Dithyramben.

Bei mittelmaͤßigen V. deren freilich die
meiſte ſind, verſtehe man die Kunſt, die So-
krat bei Heraklits Schriften anwandte: ein
Taͤucher zu ſeyn, um Perlen heraufzuholen.
So machten es die Litteraturbriefe nach Ros-
kommons Rathe, bei dem Sonderling, den
Zerſtreuungen und andern ſehr mittelmaͤßi-

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[194/0026] Die beſte Art, einen Autor zu beurtheilen, iſt ſein eigner Plan: dieſer iſt zu pruͤfen, zu beſ- ſern und auszumalen. Dieſe Arbeit cha- rakteriſirt und bildet Genies; ſchwer und nuͤtzlich zugleich! So beurtheilten die Littera- turbriefe Suͤßmilchs Ordnung, Haugens Zuſtand von Schwaben; Meiers Gedan- ken uͤber die gelehrte Sprache u. ſ. w. Pruͤft man blos den Plan allgemein, und ſagt ſeine Gedanken druͤber, ohne den V. nach ſeinem Plan zu pruͤfen: ſo thut man weder dem Ehrgeiz, noch der Demuth deſſelben Gnuͤge. Man haͤlt ihn zu ſehr fuͤr Kind, wenn man ſein Ganzes verwirft, und zu we- nig fuͤr Kind, wenn man ſein Probſtuͤck nicht anſehen will: corrige ſodes! hieß es bei den Schulhandlungen, und Dithyramben. Bei mittelmaͤßigen V. deren freilich die meiſte ſind, verſtehe man die Kunſt, die So- krat bei Heraklits Schriften anwandte: ein Taͤucher zu ſeyn, um Perlen heraufzuholen. So machten es die Litteraturbriefe nach Ros- kommons Rathe, bei dem Sonderling, den Zerſtreuungen und andern ſehr mittelmaͤßi- gen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/26>, abgerufen am 28.03.2024.