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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Um also mehr zu thun, als zu klagen:
kann man dreierlei versuchen. Zuerst als
Weltweiser, das Genie, und Original-
geist,
und Erfindung zergliedern, seine Jn-
gredienzien auflösen und bis auf den feinsten
Grund zu dringen suchen. Jch wünsche
unsrer Zeit zu diesen feinen Untersuchungen
Glück; sie sind ein neuer Begrif unserer
Weltweisheit: sie sind von großem Nuzzen in
der Geisterlehre, und es ist ein Vergnügen,
viele Deutsche gemeinschaftlich in einerlei
Goldader, aber an verschiednen Oertern gra-
ben zu sehen. Sulzers * Abhandlung in
den Schriften der Berlinschen Akademie: die
Untersuchungen zweier Ungenannten in der
Sammlung vermischter Schriften, und in
den Breslauer Sammlungen wetteifern,
um diesen Begrif ins Licht der Sonne zu
stellen.

Allein zur Erweckung der Genies trägt
dies Zergliedern nichts bei: bei aller Mühe
bleibt die viuida vis animi so unangetastet,
als der rector Archaeus bei den Scheide-

künst-
* Litt. Br. Th. 6. und 22.

Um alſo mehr zu thun, als zu klagen:
kann man dreierlei verſuchen. Zuerſt als
Weltweiſer, das Genie, und Original-
geiſt,
und Erfindung zergliedern, ſeine Jn-
gredienzien aufloͤſen und bis auf den feinſten
Grund zu dringen ſuchen. Jch wuͤnſche
unſrer Zeit zu dieſen feinen Unterſuchungen
Gluͤck; ſie ſind ein neuer Begrif unſerer
Weltweisheit: ſie ſind von großem Nuzzen in
der Geiſterlehre, und es iſt ein Vergnuͤgen,
viele Deutſche gemeinſchaftlich in einerlei
Goldader, aber an verſchiednen Oertern gra-
ben zu ſehen. Sulzers * Abhandlung in
den Schriften der Berlinſchen Akademie: die
Unterſuchungen zweier Ungenannten in der
Sammlung vermiſchter Schriften, und in
den Breslauer Sammlungen wetteifern,
um dieſen Begrif ins Licht der Sonne zu
ſtellen.

Allein zur Erweckung der Genies traͤgt
dies Zergliedern nichts bei: bei aller Muͤhe
bleibt die viuida vis animi ſo unangetaſtet,
als der rector Archaeus bei den Scheide-

kuͤnſt-
* Litt. Br. Th. 6. und 22.
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[202/0034] Um alſo mehr zu thun, als zu klagen: kann man dreierlei verſuchen. Zuerſt als Weltweiſer, das Genie, und Original- geiſt, und Erfindung zergliedern, ſeine Jn- gredienzien aufloͤſen und bis auf den feinſten Grund zu dringen ſuchen. Jch wuͤnſche unſrer Zeit zu dieſen feinen Unterſuchungen Gluͤck; ſie ſind ein neuer Begrif unſerer Weltweisheit: ſie ſind von großem Nuzzen in der Geiſterlehre, und es iſt ein Vergnuͤgen, viele Deutſche gemeinſchaftlich in einerlei Goldader, aber an verſchiednen Oertern gra- ben zu ſehen. Sulzers * Abhandlung in den Schriften der Berlinſchen Akademie: die Unterſuchungen zweier Ungenannten in der Sammlung vermiſchter Schriften, und in den Breslauer Sammlungen wetteifern, um dieſen Begrif ins Licht der Sonne zu ſtellen. Allein zur Erweckung der Genies traͤgt dies Zergliedern nichts bei: bei aller Muͤhe bleibt die viuida vis animi ſo unangetaſtet, als der rector Archaeus bei den Scheide- kuͤnſt- * Litt. Br. Th. 6. und 22.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/34>, abgerufen am 24.04.2024.