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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Daß die Hebräer nie große Redner ge-
habt haben, beweiset der Herausgeber des
Lowth in seiner Vorrede; der überhaupt
durch seine Roten und Epimetre mehr als
Lowth selbst geworden, und viele Dinge hin-
geworfen hat, die durchaus verdienen ange-
wandt, erklärt und fruchtbarer gemacht zu
werden. Wir können also nach einem Je-
saias
ohnmoglich unsre große Redner bilden.

Nie haben sie also auch einen völlig
ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre
Poesie hat einen Rhythmus, den die Chöre
und Jubelsprünge gebohren haben, der von
zu starker Declamation war, als ein Syl-
benmaas zu halten, der durch Musik und Tanz
belebt wurde. Welch ein Unterschied ist es nun,
in einer durchaus Prosaischen und Philosophi-
schen Sprache, deren Accente lange nicht so tö-
nend sind, wo man schreibt, gelesen zu wer-
den, wo, wenn die Musik sich mit der Poesie
verbindet, jene die herrschende wird, in die-
ser Sprache eine Orientalische Poesie durch
Poetische Prose nachzuahmen; die unsrer
Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum
saltantium choros adoleuit poesis orienta-

lis:

Daß die Hebraͤer nie große Redner ge-
habt haben, beweiſet der Herausgeber des
Lowth in ſeiner Vorrede; der uͤberhaupt
durch ſeine Roten und Epimetre mehr als
Lowth ſelbſt geworden, und viele Dinge hin-
geworfen hat, die durchaus verdienen ange-
wandt, erklaͤrt und fruchtbarer gemacht zu
werden. Wir koͤnnen alſo nach einem Je-
ſaias
ohnmo̊glich unſre große Redner bilden.

Nie haben ſie alſo auch einen voͤllig
ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre
Poeſie hat einen Rhythmus, den die Choͤre
und Jubelſpruͤnge gebohren haben, der von
zu ſtarker Declamation war, als ein Syl-
benmaas zu halten, der durch Muſik und Tanz
belebt wurde. Welch ein Unterſchied iſt es nun,
in einer durchaus Proſaiſchen und Philoſophi-
ſchen Sprache, deren Accente lange nicht ſo toͤ-
nend ſind, wo man ſchreibt, geleſen zu wer-
den, wo, wenn die Muſik ſich mit der Poeſie
verbindet, jene die herrſchende wird, in die-
ſer Sprache eine Orientaliſche Poeſie durch
Poetiſche Proſe nachzuahmen; die unſrer
Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum
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[230/0062] Daß die Hebraͤer nie große Redner ge- habt haben, beweiſet der Herausgeber des Lowth in ſeiner Vorrede; der uͤberhaupt durch ſeine Roten und Epimetre mehr als Lowth ſelbſt geworden, und viele Dinge hin- geworfen hat, die durchaus verdienen ange- wandt, erklaͤrt und fruchtbarer gemacht zu werden. Wir koͤnnen alſo nach einem Je- ſaias ohnmo̊glich unſre große Redner bilden. Nie haben ſie alſo auch einen voͤllig ausgebildeten Rednerperioden gehabt; ihre Poeſie hat einen Rhythmus, den die Choͤre und Jubelſpruͤnge gebohren haben, der von zu ſtarker Declamation war, als ein Syl- benmaas zu halten, der durch Muſik und Tanz belebt wurde. Welch ein Unterſchied iſt es nun, in einer durchaus Proſaiſchen und Philoſophi- ſchen Sprache, deren Accente lange nicht ſo toͤ- nend ſind, wo man ſchreibt, geleſen zu wer- den, wo, wenn die Muſik ſich mit der Poeſie verbindet, jene die herrſchende wird, in die- ſer Sprache eine Orientaliſche Poeſie durch Poetiſche Proſe nachzuahmen; die unſrer Sprache Gewalt anthut. Inter mulierum ſaltantium choros adoleuit poeſis orienta- lis:

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/62>, abgerufen am 25.04.2024.