Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



der Jnstinkt der tausendartig dort unter Ge-
schöpfe vertheilt, der in jedem Geschöpfe ein-
zeln so gewaltig treibet, als dieser in ihn ge-
sammlete stille, gesunde, Naturtrieb nur wür-
ken kann! Die ganze Welt ringsum, voll Se-
gen Gottes: eine große, muthige Familie des
Allvaters: diese Welt sein täglicher Anblick:
an sie mit Bedürfniß und Genusse geheftet:
gegen sie mit Arbeit, Vorsicht und mildem
Schutze strebend -- unter diesem Himmel,
in diesem Elemente Lebenskraft welche Gedan-
kenform, welch ein Herz muste sich bilden!

Groß und heiter wie die Natur! wie sie, im
ganzen Gange still und muthig! langes Le-
ben, Genuß sein selbst
auf die unzerglieder-
lichste Weise, Eintheilung der Tage durch
Ruhe und Ermattung, Lernen und Behal-
ten
-- siehe das war der Patriarch für sich
allein. -- -- Aber was für sich allein?
der Segen Gottes durch die ganze Natur wo
war er, inniger als im Bilde der Mensch-
heit, wie es sich fortfühlt
und fortbildet: im
Weibe für ihn geschaffen, im Sohn seinem
Bilde
ähnlich, im Gottesgeschlecht das rings-
um und nach ihm die Erde fülle. Da war
Segen Gottes sein Segen: sein die er re-
giert, sein den er erzieht; sein die Kinder und

Kin-
A 5



der Jnſtinkt der tauſendartig dort unter Ge-
ſchoͤpfe vertheilt, der in jedem Geſchoͤpfe ein-
zeln ſo gewaltig treibet, als dieſer in ihn ge-
ſammlete ſtille, geſunde, Naturtrieb nur wuͤr-
ken kann! Die ganze Welt ringsum, voll Se-
gen Gottes: eine große, muthige Familie des
Allvaters: dieſe Welt ſein taͤglicher Anblick:
an ſie mit Beduͤrfniß und Genuſſe geheftet:
gegen ſie mit Arbeit, Vorſicht und mildem
Schutze ſtrebend — unter dieſem Himmel,
in dieſem Elemente Lebenskraft welche Gedan-
kenform, welch ein Herz muſte ſich bilden!

Groß und heiter wie die Natur! wie ſie, im
ganzen Gange ſtill und muthig! langes Le-
ben, Genuß ſein ſelbſt
auf die unzerglieder-
lichſte Weiſe, Eintheilung der Tage durch
Ruhe und Ermattung, Lernen und Behal-
ten
— ſiehe das war der Patriarch fuͤr ſich
allein. — — Aber was fuͤr ſich allein?
der Segen Gottes durch die ganze Natur wo
war er, inniger als im Bilde der Menſch-
heit, wie es ſich fortfuͤhlt
und fortbildet: im
Weibe fuͤr ihn geſchaffen, im Sohn ſeinem
Bilde
aͤhnlich, im Gottesgeſchlecht das rings-
um und nach ihm die Erde fuͤlle. Da war
Segen Gottes ſein Segen: ſein die er re-
giert, ſein den er erzieht; ſein die Kinder und

Kin-
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="9"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> der Jn&#x017F;tinkt der tau&#x017F;endartig dort unter Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfe vertheilt, der in jedem Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe ein-<lb/>
zeln &#x017F;o gewaltig treibet, als die&#x017F;er in ihn ge-<lb/>
&#x017F;ammlete &#x017F;tille, ge&#x017F;unde, Naturtrieb nur wu&#x0364;r-<lb/>
ken kann! Die ganze Welt ringsum, voll Se-<lb/>
gen Gottes: eine große, muthige Familie des<lb/>
Allvaters: die&#x017F;e Welt &#x017F;ein ta&#x0364;glicher Anblick:<lb/>
an &#x017F;ie mit Bedu&#x0364;rfniß und Genu&#x017F;&#x017F;e geheftet:<lb/>
gegen &#x017F;ie mit Arbeit, Vor&#x017F;icht und mildem<lb/>
Schutze &#x017F;trebend &#x2014; unter die&#x017F;em Himmel,<lb/>
in die&#x017F;em Elemente Lebenskraft <hi rendition="#b">welche Gedan-<lb/>
kenform, welch ein Herz mu&#x017F;te &#x017F;ich bilden!</hi><lb/>
Groß und heiter wie die Natur! wie &#x017F;ie, im<lb/>
ganzen Gange &#x017F;till und muthig! <hi rendition="#b">langes Le-<lb/>
ben, Genuß &#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;t</hi> auf die unzerglieder-<lb/>
lich&#x017F;te Wei&#x017F;e, <hi rendition="#b">Eintheilung der Tage</hi> durch<lb/><hi rendition="#b">Ruhe und Ermattung, Lernen und Behal-<lb/>
ten</hi> &#x2014; &#x017F;iehe das war der Patriarch <hi rendition="#b">fu&#x0364;r &#x017F;ich</hi><lb/>
allein. &#x2014; &#x2014; Aber was <hi rendition="#b">fu&#x0364;r &#x017F;ich allein?</hi><lb/>
der Segen Gottes durch die ganze Natur wo<lb/>
war er, inniger als im <hi rendition="#b">Bilde der Men&#x017F;ch-<lb/>
heit, wie es &#x017F;ich fortfu&#x0364;hlt</hi> und <hi rendition="#b">fortbildet:</hi> im<lb/><hi rendition="#b">Weibe fu&#x0364;r ihn</hi> ge&#x017F;chaffen, im <hi rendition="#b">Sohn &#x017F;einem<lb/>
Bilde</hi> a&#x0364;hnlich, im <hi rendition="#b">Gottesge&#x017F;chlecht</hi> das rings-<lb/>
um und nach ihm die Erde fu&#x0364;lle. Da war<lb/>
Segen Gottes <hi rendition="#b">&#x017F;ein</hi> Segen: <hi rendition="#b">&#x017F;ein</hi> die er re-<lb/>
giert, <hi rendition="#b">&#x017F;ein</hi> den er erzieht; <hi rendition="#b">&#x017F;ein</hi> die Kinder und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Kin-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0013] der Jnſtinkt der tauſendartig dort unter Ge- ſchoͤpfe vertheilt, der in jedem Geſchoͤpfe ein- zeln ſo gewaltig treibet, als dieſer in ihn ge- ſammlete ſtille, geſunde, Naturtrieb nur wuͤr- ken kann! Die ganze Welt ringsum, voll Se- gen Gottes: eine große, muthige Familie des Allvaters: dieſe Welt ſein taͤglicher Anblick: an ſie mit Beduͤrfniß und Genuſſe geheftet: gegen ſie mit Arbeit, Vorſicht und mildem Schutze ſtrebend — unter dieſem Himmel, in dieſem Elemente Lebenskraft welche Gedan- kenform, welch ein Herz muſte ſich bilden! Groß und heiter wie die Natur! wie ſie, im ganzen Gange ſtill und muthig! langes Le- ben, Genuß ſein ſelbſt auf die unzerglieder- lichſte Weiſe, Eintheilung der Tage durch Ruhe und Ermattung, Lernen und Behal- ten — ſiehe das war der Patriarch fuͤr ſich allein. — — Aber was fuͤr ſich allein? der Segen Gottes durch die ganze Natur wo war er, inniger als im Bilde der Menſch- heit, wie es ſich fortfuͤhlt und fortbildet: im Weibe fuͤr ihn geſchaffen, im Sohn ſeinem Bilde aͤhnlich, im Gottesgeſchlecht das rings- um und nach ihm die Erde fuͤlle. Da war Segen Gottes ſein Segen: ſein die er re- giert, ſein den er erzieht; ſein die Kinder und Kin- A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/13
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/13>, abgerufen am 28.03.2024.