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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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eines Mannes Hand werden können, was es
seyn sollte. Ein gothisches Gebäude im phi-
losophischen Geschmack seines Jahrhunderts

Esprit! oft nichts weiter! Aus Stelle und
Ort gerissen und auf drey oder vier Markt-
plätze,
unter das Panier drey elender Allge-
meinörter -- Worte!
-- dazu leerer, un-
nützer, unbestimmter, allverwirrender E-
spritworte! hingetrümmert.
Durchs Werk
also ein Taumel aller Zeiten, Nationen und
Sprachen, wie um den Thurm der Verwir-
rung, daß jedweder seinen Bettel, Reichthum
und Ranzen, an drey schwache Nägel han-
ge -- Geschichte aller Völker und Zeiten, dieß
grosse lebendige Werk Gottes auch in seiner
Folge,
ein Ruinenhaufen von drey Spitzen
und Kapseln -- aber freylich auch sehr ede-
ler, würdiger Materialien -- Montesquieu!

Wer, der uns den Tempel Gottes herstel-
le, wie er in seinem Fortgebäude ist, durch
alle Jahrhunderte hindurch! die ältesten Zei-
ten der Menschenkindheit sind vorbey: Aber
Reste und Denkmäler gnug da -- die herr-
lichsten Reste, Unterweisung des Vaters selbst
an diese Kindheit -- Offenbarung, Sagst
du, Mensch, daß sie dir zu alt sey,

in



eines Mannes Hand werden koͤnnen, was es
ſeyn ſollte. Ein gothiſches Gebaͤude im phi-
loſophiſchen Geſchmack ſeines Jahrhunderts

Eſprit! oft nichts weiter! Aus Stelle und
Ort geriſſen und auf drey oder vier Markt-
plaͤtze,
unter das Panier drey elender Allge-
meinoͤrter — Worte!
— dazu leerer, un-
nuͤtzer, unbeſtimmter, allverwirrender E-
ſpritworte! hingetruͤmmert.
Durchs Werk
alſo ein Taumel aller Zeiten, Nationen und
Sprachen, wie um den Thurm der Verwir-
rung, daß jedweder ſeinen Bettel, Reichthum
und Ranzen, an drey ſchwache Naͤgel han-
ge — Geſchichte aller Voͤlker und Zeiten, dieß
groſſe lebendige Werk Gottes auch in ſeiner
Folge,
ein Ruinenhaufen von drey Spitzen
und Kapſeln — aber freylich auch ſehr ede-
ler, wuͤrdiger Materialien — Montesquieu!

Wer, der uns den Tempel Gottes herſtel-
le, wie er in ſeinem Fortgebaͤude iſt, durch
alle Jahrhunderte hindurch! die aͤlteſten Zei-
ten der Menſchenkindheit ſind vorbey: Aber
Reſte und Denkmaͤler gnug da — die herr-
lichſten Reſte, Unterweiſung des Vaters ſelbſt
an dieſe Kindheit — Offenbarung, Sagſt
du, Menſch, daß ſie dir zu alt ſey,

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[154/0158] eines Mannes Hand werden koͤnnen, was es ſeyn ſollte. Ein gothiſches Gebaͤude im phi- loſophiſchen Geſchmack ſeines Jahrhunderts Eſprit! oft nichts weiter! Aus Stelle und Ort geriſſen und auf drey oder vier Markt- plaͤtze, unter das Panier drey elender Allge- meinoͤrter — Worte! — dazu leerer, un- nuͤtzer, unbeſtimmter, allverwirrender E- ſpritworte! hingetruͤmmert. Durchs Werk alſo ein Taumel aller Zeiten, Nationen und Sprachen, wie um den Thurm der Verwir- rung, daß jedweder ſeinen Bettel, Reichthum und Ranzen, an drey ſchwache Naͤgel han- ge — Geſchichte aller Voͤlker und Zeiten, dieß groſſe lebendige Werk Gottes auch in ſeiner Folge, ein Ruinenhaufen von drey Spitzen und Kapſeln — aber freylich auch ſehr ede- ler, wuͤrdiger Materialien — Montesquieu! Wer, der uns den Tempel Gottes herſtel- le, wie er in ſeinem Fortgebaͤude iſt, durch alle Jahrhunderte hindurch! die aͤlteſten Zei- ten der Menſchenkindheit ſind vorbey: Aber Reſte und Denkmaͤler gnug da — die herr- lichſten Reſte, Unterweiſung des Vaters ſelbſt an dieſe Kindheit — Offenbarung, Sagſt du, Menſch, daß ſie dir zu alt ſey, in

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/158>, abgerufen am 25.04.2024.