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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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sigkeit, Scepticism an Tugend, Glück und
Verdienst! -- was mit seinem Witze wegge-
lacht,
ohne es zum Theil weglachen zu wol-
len!
-- sanfte, angenehme und nothwendige
Bande mit frevelnder Hand aufgelöset, ohne
uns, die wir nicht alle au Chateau de Fernay
residiren, das mindeste an die Stelle zu ge-
ben?
Und durch welche Mittel und Wege hat
er selbst sein Bestes erlangt? wenn er uns
mit alle der Philosophie und Schönliebha-
berey der Denkart
ohne Moral und feste
menschliche Empfindung
denn in die Hän-
de liefere? -- man kennet die grosse Kabale
gegen und für ihn, weiß, wie anders Roußeau
predige? vielleicht gut, daß beyde predigen,
weit von einander und in manchem beyde ein-
ander aufhebend -- oft das Ende menschli-
chen Beginnens! die Linien heben sich auf,
aber ihr lezter Punkt steht weiter! -- --

Kein grosser Geist, durch den das Schicksal
Veränderung bewürkt, kann freylich mit al-
lem, was er denkt und fühlt, nach der Ge-
meinregel
jeder mittelmäßigen Seele gemes-
sen werden. Es giebt Ausnahmen höherer
Gattung,
und meist alles Merkwürdige der
Welt geschieht durch diese Ausnahmen. Die

graden
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ſigkeit, Scepticism an Tugend, Gluͤck und
Verdienſt! — was mit ſeinem Witze wegge-
lacht,
ohne es zum Theil weglachen zu wol-
len!
— ſanfte, angenehme und nothwendige
Bande mit frevelnder Hand aufgeloͤſet, ohne
uns, die wir nicht alle au Chateau de Fernay
reſidiren, das mindeſte an die Stelle zu ge-
ben?
Und durch welche Mittel und Wege hat
er ſelbſt ſein Beſtes erlangt? wenn er uns
mit alle der Philoſophie und Schoͤnliebha-
berey der Denkart
ohne Moral und feſte
menſchliche Empfindung
denn in die Haͤn-
de liefere? — man kennet die groſſe Kabale
gegen und fuͤr ihn, weiß, wie anders Roußeau
predige? vielleicht gut, daß beyde predigen,
weit von einander und in manchem beyde ein-
ander aufhebend — oft das Ende menſchli-
chen Beginnens! die Linien heben ſich auf,
aber ihr lezter Punkt ſteht weiter! — —

Kein groſſer Geiſt, durch den das Schickſal
Veraͤnderung bewuͤrkt, kann freylich mit al-
lem, was er denkt und fuͤhlt, nach der Ge-
meinregel
jeder mittelmaͤßigen Seele gemeſ-
ſen werden. Es giebt Ausnahmen hoͤherer
Gattung,
und meiſt alles Merkwuͤrdige der
Welt geſchieht durch dieſe Ausnahmen. Die

graden
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[185/0189] ſigkeit, Scepticism an Tugend, Gluͤck und Verdienſt! — was mit ſeinem Witze wegge- lacht, ohne es zum Theil weglachen zu wol- len! — ſanfte, angenehme und nothwendige Bande mit frevelnder Hand aufgeloͤſet, ohne uns, die wir nicht alle au Chateau de Fernay reſidiren, das mindeſte an die Stelle zu ge- ben? Und durch welche Mittel und Wege hat er ſelbſt ſein Beſtes erlangt? wenn er uns mit alle der Philoſophie und Schoͤnliebha- berey der Denkart ohne Moral und feſte menſchliche Empfindung denn in die Haͤn- de liefere? — man kennet die groſſe Kabale gegen und fuͤr ihn, weiß, wie anders Roußeau predige? vielleicht gut, daß beyde predigen, weit von einander und in manchem beyde ein- ander aufhebend — oft das Ende menſchli- chen Beginnens! die Linien heben ſich auf, aber ihr lezter Punkt ſteht weiter! — — Kein groſſer Geiſt, durch den das Schickſal Veraͤnderung bewuͤrkt, kann freylich mit al- lem, was er denkt und fuͤhlt, nach der Ge- meinregel jeder mittelmaͤßigen Seele gemeſ- ſen werden. Es giebt Ausnahmen hoͤherer Gattung, und meiſt alles Merkwuͤrdige der Welt geſchieht durch dieſe Ausnahmen. Die graden M 5

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/189>, abgerufen am 25.04.2024.