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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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weiter: aegyptische Jndustrie und Policey
konnte ihnen nicht helfen, weil sie kein Aegyp-
ten
und keinen Nil -- phönicische Handels-
klugheit nicht helfen, weil sie keinen Libanus
und kein Jndien im Rücken hatte: zur orien-
talischen
Erziehung war die Zeit vorbey --
gnug! es ward, was es war -- Griechen-
land!
Urbild und Vorbild aller Schöne, Gra-
zie und Einfalt! Tugendblüthe des menschli-
chen Geschlechts -- o hätte sie ewig dauren
können!

Jch glaube, der Stand, in den ich Grie-
chenland stelle, trägt auch bey, "den ewigen
"Streit über die Originalität der Griechen
"oder ihre Nachahmung fremder Nationen"
etwas zu entwirren: man hätte sich wie überall,
also auch hier, lange vereinigt, hätte man sich nur
besser verstanden. Daß Griechenland Sa-
menkörner der Kultur, Sprache, Künste

und Wissenschaften anders woher erhalten,
ist, dünkt mich, unläugbar, und es kann bey
einigen, Bildhauerey, Baukunst, Mytho-
logie, Litteratur
offenbar gezeigt werden.
Aber daß die Griechen dies alles so gut als
nicht
erhalten, daß sie ihm ganz neue Natur
angeschaffen,
daß in jeder Art das "Schöne"

im



weiter: aegyptiſche Jnduſtrie und Policey
konnte ihnen nicht helfen, weil ſie kein Aegyp-
ten
und keinen Nil — phoͤniciſche Handels-
klugheit nicht helfen, weil ſie keinen Libanus
und kein Jndien im Ruͤcken hatte: zur orien-
taliſchen
Erziehung war die Zeit vorbey —
gnug! es ward, was es war — Griechen-
land!
Urbild und Vorbild aller Schoͤne, Gra-
zie und Einfalt! Tugendbluͤthe des menſchli-
chen Geſchlechts — o haͤtte ſie ewig dauren
koͤnnen!

Jch glaube, der Stand, in den ich Grie-
chenland ſtelle, traͤgt auch bey, „den ewigen
„Streit uͤber die Originalitaͤt der Griechen
„oder ihre Nachahmung fremder Nationen„
etwas zu entwirren: man haͤtte ſich wie uͤberall,
alſo auch hier, lange vereinigt, haͤtte man ſich nur
beſſer verſtanden. Daß Griechenland Sa-
menkoͤrner der Kultur, Sprache, Kuͤnſte

und Wiſſenſchaften anders woher erhalten,
iſt, duͤnkt mich, unlaͤugbar, und es kann bey
einigen, Bildhauerey, Baukunſt, Mytho-
logie, Litteratur
offenbar gezeigt werden.
Aber daß die Griechen dies alles ſo gut als
nicht
erhalten, daß ſie ihm ganz neue Natur
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[38/0042] weiter: aegyptiſche Jnduſtrie und Policey konnte ihnen nicht helfen, weil ſie kein Aegyp- ten und keinen Nil — phoͤniciſche Handels- klugheit nicht helfen, weil ſie keinen Libanus und kein Jndien im Ruͤcken hatte: zur orien- taliſchen Erziehung war die Zeit vorbey — gnug! es ward, was es war — Griechen- land! Urbild und Vorbild aller Schoͤne, Gra- zie und Einfalt! Tugendbluͤthe des menſchli- chen Geſchlechts — o haͤtte ſie ewig dauren koͤnnen! Jch glaube, der Stand, in den ich Grie- chenland ſtelle, traͤgt auch bey, „den ewigen „Streit uͤber die Originalitaͤt der Griechen „oder ihre Nachahmung fremder Nationen„ etwas zu entwirren: man haͤtte ſich wie uͤberall, alſo auch hier, lange vereinigt, haͤtte man ſich nur beſſer verſtanden. Daß Griechenland Sa- menkoͤrner der Kultur, Sprache, Kuͤnſte und Wiſſenſchaften anders woher erhalten, iſt, duͤnkt mich, unlaͤugbar, und es kann bey einigen, Bildhauerey, Baukunſt, Mytho- logie, Litteratur offenbar gezeigt werden. Aber daß die Griechen dies alles ſo gut als nicht erhalten, daß ſie ihm ganz neue Natur angeſchaffen, daß in jeder Art das „Schoͤne„ im

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/42>, abgerufen am 28.03.2024.