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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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tional, voll Bilder und Verkleidungen, voll
Ceremonien und Nationalgebräuche, an de-
nen immer die wesentlichen Pflichten nur hin-
gen
und hinzugefügt waren -- Kurz, Reli-
gionen eines Volks, eines Erdstrichs, eines
Gesetzgebers, einer Zeit!
diese offenbar in al-
lem das Gegentheil. Die lauterste Philo-
sophie
der Sittenlehre, die reinste Theorie
der Wahrheiten und Pflichten, von allen
Gesetzen, und kleinen Landverfassungen unab-
hängig,
kurz wenn man will, der menschen-
liebendste Deismus.
--

Und sonach gewiß Religion des Weltalls.
Es habens andre, und selbst ihre Feinde be-
wiesen, daß eine solche Religion gewiß nicht
zu anderer Zeit, früher oder später hätte auf-
keimen oder aufkommen, oder sich einstehlen
können -- man nenne es wie man wolle. Das
menschliche Geschlecht mußte zu dem Deismus
soviel Jahrtausende bereitet, aus Kindheit,
Barbarey, Abgötterey und Sinnlichkeit all-
mählig hervorgezogen;
seine Seelenkräfte
durch so viel Nationalbildungen, orientalische,
aegyptische, griechische, römische u. s. w. als
durch Stuffen und Zugänge entwickelt seyn,
ehe selbst die mindsten Anfänge nur zu An-

schauung,
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tional, voll Bilder und Verkleidungen, voll
Ceremonien und Nationalgebraͤuche, an de-
nen immer die weſentlichen Pflichten nur hin-
gen
und hinzugefuͤgt waren — Kurz, Reli-
gionen eines Volks, eines Erdſtrichs, eines
Geſetzgebers, einer Zeit!
dieſe offenbar in al-
lem das Gegentheil. Die lauterſte Philo-
ſophie
der Sittenlehre, die reinſte Theorie
der Wahrheiten und Pflichten, von allen
Geſetzen, und kleinen Landverfaſſungen unab-
haͤngig,
kurz wenn man will, der menſchen-
liebendſte Deiſmus.

Und ſonach gewiß Religion des Weltalls.
Es habens andre, und ſelbſt ihre Feinde be-
wieſen, daß eine ſolche Religion gewiß nicht
zu anderer Zeit, fruͤher oder ſpaͤter haͤtte auf-
keimen oder aufkommen, oder ſich einſtehlen
koͤnnen — man nenne es wie man wolle. Das
menſchliche Geſchlecht mußte zu dem Deismus
ſoviel Jahrtauſende bereitet, aus Kindheit,
Barbarey, Abgoͤtterey und Sinnlichkeit all-
maͤhlig hervorgezogen;
ſeine Seelenkraͤfte
durch ſo viel Nationalbildungen, orientaliſche,
aegyptiſche, griechiſche, roͤmiſche u. ſ. w. als
durch Stuffen und Zugaͤnge entwickelt ſeyn,
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[73/0077] tional, voll Bilder und Verkleidungen, voll Ceremonien und Nationalgebraͤuche, an de- nen immer die weſentlichen Pflichten nur hin- gen und hinzugefuͤgt waren — Kurz, Reli- gionen eines Volks, eines Erdſtrichs, eines Geſetzgebers, einer Zeit! dieſe offenbar in al- lem das Gegentheil. Die lauterſte Philo- ſophie der Sittenlehre, die reinſte Theorie der Wahrheiten und Pflichten, von allen Geſetzen, und kleinen Landverfaſſungen unab- haͤngig, kurz wenn man will, der menſchen- liebendſte Deiſmus. — Und ſonach gewiß Religion des Weltalls. Es habens andre, und ſelbſt ihre Feinde be- wieſen, daß eine ſolche Religion gewiß nicht zu anderer Zeit, fruͤher oder ſpaͤter haͤtte auf- keimen oder aufkommen, oder ſich einſtehlen koͤnnen — man nenne es wie man wolle. Das menſchliche Geſchlecht mußte zu dem Deismus ſoviel Jahrtauſende bereitet, aus Kindheit, Barbarey, Abgoͤtterey und Sinnlichkeit all- maͤhlig hervorgezogen; ſeine Seelenkraͤfte durch ſo viel Nationalbildungen, orientaliſche, aegyptiſche, griechiſche, roͤmiſche u. ſ. w. als durch Stuffen und Zugaͤnge entwickelt ſeyn, ehe ſelbſt die mindſten Anfaͤnge nur zu An- ſchauung, E 5

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/77>, abgerufen am 23.04.2024.