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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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nachher mit solchen Wirrungen weit und lang
fortgezogen: wo also auch alle ersten Zufälle
für Anstalten einer mütterlichen Vorsehung
gelten können, einen zarten Doppelkeim des
ganzen Geschlechts mit alle der Wahl und Vor-
sicht zu entwickeln, die wir immer dem Schö-
pfer einer so edeln Gattung und seinem Blick
auf Jahrtausend und Ewigkeit hinaus zu-
trauen müssen.

Natürlich, daß diese ersten Entwickelungen
so simpel, zart und wunderbar waren, wie
wir sie in allen Hervorbringungen der Na-
tur
sehen. Der Keim fällt in die Erde und
erstirbt: der Embryon wird im Verborgnen
gebildet, wie's kaum die Brille des Philosophen
a priori gutheißen würde, und tritt ganz ge-
bildet hervor: die Geschichte der frühesten
Entwicklungen des menschlichen Geschlechts,
wie sie uns das ältste Buch beschreibt, mag
also so kurz und apokryphisch klingen, daß
wir vor dem philosophischen Geist unsers Jahr-
hunderts, der nichts mehr als Wunderbares
und Verborgnes hasset, damit zu erscheinen
erblöden: eben deswegen ist sie wahr. Nur
Eins also angemerkt. Scheint nicht selbst
für das Maulwurfsauge dieses lichtesten Jahr-

hun-



nachher mit ſolchen Wirrungen weit und lang
fortgezogen: wo alſo auch alle erſten Zufaͤlle
fuͤr Anſtalten einer muͤtterlichen Vorſehung
gelten koͤnnen, einen zarten Doppelkeim des
ganzen Geſchlechts mit alle der Wahl und Vor-
ſicht zu entwickeln, die wir immer dem Schoͤ-
pfer einer ſo edeln Gattung und ſeinem Blick
auf Jahrtauſend und Ewigkeit hinaus zu-
trauen muͤſſen.

Natuͤrlich, daß dieſe erſten Entwickelungen
ſo ſimpel, zart und wunderbar waren, wie
wir ſie in allen Hervorbringungen der Na-
tur
ſehen. Der Keim faͤllt in die Erde und
erſtirbt: der Embryon wird im Verborgnen
gebildet, wie’s kaum die Brille des Philoſophen
a priori gutheißen wuͤrde, und tritt ganz ge-
bildet hervor: die Geſchichte der fruͤheſten
Entwicklungen des menſchlichen Geſchlechts,
wie ſie uns das aͤltſte Buch beſchreibt, mag
alſo ſo kurz und apokryphiſch klingen, daß
wir vor dem philoſophiſchen Geiſt unſers Jahr-
hunderts, der nichts mehr als Wunderbares
und Verborgnes haſſet, damit zu erſcheinen
erbloͤden: eben deswegen iſt ſie wahr. Nur
Eins alſo angemerkt. Scheint nicht ſelbſt
fuͤr das Maulwurfsauge dieſes lichteſten Jahr-

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[4/0008] nachher mit ſolchen Wirrungen weit und lang fortgezogen: wo alſo auch alle erſten Zufaͤlle fuͤr Anſtalten einer muͤtterlichen Vorſehung gelten koͤnnen, einen zarten Doppelkeim des ganzen Geſchlechts mit alle der Wahl und Vor- ſicht zu entwickeln, die wir immer dem Schoͤ- pfer einer ſo edeln Gattung und ſeinem Blick auf Jahrtauſend und Ewigkeit hinaus zu- trauen muͤſſen. Natuͤrlich, daß dieſe erſten Entwickelungen ſo ſimpel, zart und wunderbar waren, wie wir ſie in allen Hervorbringungen der Na- tur ſehen. Der Keim faͤllt in die Erde und erſtirbt: der Embryon wird im Verborgnen gebildet, wie’s kaum die Brille des Philoſophen a priori gutheißen wuͤrde, und tritt ganz ge- bildet hervor: die Geſchichte der fruͤheſten Entwicklungen des menſchlichen Geſchlechts, wie ſie uns das aͤltſte Buch beſchreibt, mag alſo ſo kurz und apokryphiſch klingen, daß wir vor dem philoſophiſchen Geiſt unſers Jahr- hunderts, der nichts mehr als Wunderbares und Verborgnes haſſet, damit zu erſcheinen erbloͤden: eben deswegen iſt ſie wahr. Nur Eins alſo angemerkt. Scheint nicht ſelbſt fuͤr das Maulwurfsauge dieſes lichteſten Jahr- hun-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/8>, abgerufen am 29.03.2024.