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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Eiche werde; der die Hütte an die Tiber
pflanzte, daß Rom, das ewige Haupt der
Welt daraus würde. Eben derselbe ists, der
jetzt Barbarn hinzuführt, daß sie die Littera-
tur der ganzen Welt,
die Bibliothek zu
Alexandrien
(gleichsam ein versinkendes Welt-
theil!) vernichtigen, jetzt eben dieselbe hinzu-
führt, daß sie einen kleinen Rest Litteratur
erbetteln, erhalten,
und auf einer ganz an-
dern Seite,
auf Wegen, die niemand geträumt
oder gewünscht hatte, nach Europa bringen
sollten. Eben derselbe, der jetzt durch sie an
einer andern Seite eine Kaiserstadt zerstören
läßt, daß die Wissenschaften, die da niemand
suchte und die da so lange müßig waren, nach
Europa fliehen
-- Alles ist großes Schicksal!
von Menschen unüberdacht, ungehoft, un-
bewürkt
-- siehst du, Ameise nicht, daß
du auf dem großen Rade des Verhängnisses nur
kriechest?

Wenn wir in die Umstände des Ursprungs
aller sogenannten Welterleuchtungen näher ein-
dringen: die nemliche Sache. Dort im großen
hier im kleinen, Zufall, Schicksal, Gott-
heit!
Was jede Reformation anfieng, waren
Kleinigkeiten; die nie so gleich den großen

un-



Eiche werde; der die Huͤtte an die Tiber
pflanzte, daß Rom, das ewige Haupt der
Welt daraus wuͤrde. Eben derſelbe iſts, der
jetzt Barbarn hinzufuͤhrt, daß ſie die Littera-
tur der ganzen Welt,
die Bibliothek zu
Alexandrien
(gleichſam ein verſinkendes Welt-
theil!) vernichtigen, jetzt eben dieſelbe hinzu-
fuͤhrt, daß ſie einen kleinen Reſt Litteratur
erbetteln, erhalten,
und auf einer ganz an-
dern Seite,
auf Wegen, die niemand getraͤumt
oder gewuͤnſcht hatte, nach Europa bringen
ſollten. Eben derſelbe, der jetzt durch ſie an
einer andern Seite eine Kaiſerſtadt zerſtoͤren
laͤßt, daß die Wiſſenſchaften, die da niemand
ſuchte und die da ſo lange muͤßig waren, nach
Europa fliehen
— Alles iſt großes Schickſal!
von Menſchen unuͤberdacht, ungehoft, un-
bewuͤrkt
— ſiehſt du, Ameiſe nicht, daß
du auf dem großen Rade des Verhaͤngniſſes nur
kriecheſt?

Wenn wir in die Umſtaͤnde des Urſprungs
aller ſogenannten Welterleuchtungen naͤher ein-
dringen: die nemliche Sache. Dort im großen
hier im kleinen, Zufall, Schickſal, Gott-
heit!
Was jede Reformation anfieng, waren
Kleinigkeiten; die nie ſo gleich den großen

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[94/0098] Eiche werde; der die Huͤtte an die Tiber pflanzte, daß Rom, das ewige Haupt der Welt daraus wuͤrde. Eben derſelbe iſts, der jetzt Barbarn hinzufuͤhrt, daß ſie die Littera- tur der ganzen Welt, die Bibliothek zu Alexandrien (gleichſam ein verſinkendes Welt- theil!) vernichtigen, jetzt eben dieſelbe hinzu- fuͤhrt, daß ſie einen kleinen Reſt Litteratur erbetteln, erhalten, und auf einer ganz an- dern Seite, auf Wegen, die niemand getraͤumt oder gewuͤnſcht hatte, nach Europa bringen ſollten. Eben derſelbe, der jetzt durch ſie an einer andern Seite eine Kaiſerſtadt zerſtoͤren laͤßt, daß die Wiſſenſchaften, die da niemand ſuchte und die da ſo lange muͤßig waren, nach Europa fliehen — Alles iſt großes Schickſal! von Menſchen unuͤberdacht, ungehoft, un- bewuͤrkt — ſiehſt du, Ameiſe nicht, daß du auf dem großen Rade des Verhaͤngniſſes nur kriecheſt? Wenn wir in die Umſtaͤnde des Urſprungs aller ſogenannten Welterleuchtungen naͤher ein- dringen: die nemliche Sache. Dort im großen hier im kleinen, Zufall, Schickſal, Gott- heit! Was jede Reformation anfieng, waren Kleinigkeiten; die nie ſo gleich den großen un-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/98>, abgerufen am 23.04.2024.