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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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2.

Warum wird die Bildsäule durch Färbung
nach der Natur und ähnliche Anwürfe nicht
schön, sondern häßlich? da doch in
der Mahlerei Farbe so große
Würkung thut.

Antwort. Weil Farbe nicht Form ist, weil
sie also dem verschloßnen Auge und tasten-
den Sinne nicht merkbar wird, oder merk-
bar sogleich die schöne Form hindert. Sie
ist Sandkorn, Tünche, fremder Anwuchs,
worauf wir stoßen, und der uns vom rei-
nen Gefühl dessen, was die Natur seyn
sollte, wegzeucht.

Die obengesetzte und oft aufgeworfene Frage
ist bisher meistens anders beantwortet wor-
den: "durch Farbe werde die Aehnlichkeit zu
"groß, die Aehnlichkeit zu ähnlich, gar identisch
"mit der Natur, das sie nicht seyn soll. Man
"könne die bemahlte Statue in der Entfernung gar
"für einen lebendigen Menschen halten, darauf
"zugehen, u. d. g.". Wer von diesen Ursachen
etwas versteht, oder sich mit ihnen befriedigen
kann, dem beneide ich seine Zufriedenheit nicht.

Man


2.

Warum wird die Bildſaͤule durch Faͤrbung
nach der Natur und aͤhnliche Anwuͤrfe nicht
ſchoͤn, ſondern haͤßlich? da doch in
der Mahlerei Farbe ſo große
Wuͤrkung thut.

Antwort. Weil Farbe nicht Form iſt, weil
ſie alſo dem verſchloßnen Auge und taſten-
den Sinne nicht merkbar wird, oder merk-
bar ſogleich die ſchoͤne Form hindert. Sie
iſt Sandkorn, Tuͤnche, fremder Anwuchs,
worauf wir ſtoßen, und der uns vom rei-
nen Gefuͤhl deſſen, was die Natur ſeyn
ſollte, wegzeucht.

Die obengeſetzte und oft aufgeworfene Frage
iſt bisher meiſtens anders beantwortet wor-
den: „durch Farbe werde die Aehnlichkeit zu
„groß, die Aehnlichkeit zu aͤhnlich, gar identiſch
„mit der Natur, das ſie nicht ſeyn ſoll. Man
„koͤnne die bemahlte Statue in der Entfernung gar
„fuͤr einen lebendigen Menſchen halten, darauf
„zugehen, u. d. g.„. Wer von dieſen Urſachen
etwas verſteht, oder ſich mit ihnen befriedigen
kann, dem beneide ich ſeine Zufriedenheit nicht.

Man
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[43/0046] 2. Warum wird die Bildſaͤule durch Faͤrbung nach der Natur und aͤhnliche Anwuͤrfe nicht ſchoͤn, ſondern haͤßlich? da doch in der Mahlerei Farbe ſo große Wuͤrkung thut. Antwort. Weil Farbe nicht Form iſt, weil ſie alſo dem verſchloßnen Auge und taſten- den Sinne nicht merkbar wird, oder merk- bar ſogleich die ſchoͤne Form hindert. Sie iſt Sandkorn, Tuͤnche, fremder Anwuchs, worauf wir ſtoßen, und der uns vom rei- nen Gefuͤhl deſſen, was die Natur ſeyn ſollte, wegzeucht. Die obengeſetzte und oft aufgeworfene Frage iſt bisher meiſtens anders beantwortet wor- den: „durch Farbe werde die Aehnlichkeit zu „groß, die Aehnlichkeit zu aͤhnlich, gar identiſch „mit der Natur, das ſie nicht ſeyn ſoll. Man „koͤnne die bemahlte Statue in der Entfernung gar „fuͤr einen lebendigen Menſchen halten, darauf „zugehen, u. d. g.„. Wer von dieſen Urſachen etwas verſteht, oder ſich mit ihnen befriedigen kann, dem beneide ich ſeine Zufriedenheit nicht. Man

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/46>, abgerufen am 28.03.2024.