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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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Vierter Abschnitt.


Die Absicht des Vorigen ist wohl weder Lob-
rede der Schönheit, noch Beschreibung
der Antike, am wenigsten Physiognomik
gewesen, da ich weder Künstler, noch Antiquar
noch Physiognom bin, und allgemeine unbe-
stimmte Ausdrücke zu keinem von dreien etwas be-
tragen. Der simple Satz war meine Absicht:
"daß jede Form der Erhabenheit und Schön-
"heit am menschlichen Körper eigentlich nur
"Form der Gesundheit, des Lebens, der
"Kraft, des Wohlseyns in jedem Gliede die-
"ses kunstvollen Geschöpfes,
so wie hingegen
"Alles Häßliche nur Krüppel, Druck des Gei-
"stes, unvollkommene Form zu ihrem Endzweck
"sei und bleibe". Die Wohlgestalt des Men-
schen ist also kein Abstraktum aus den Wolken, kei-
ne Komposition gelehrter Regeln oder willkühr-
licher Einverständnisse; sie kann von jedem erfaßt
und gefühlt werden, der, was Form des Lebens,
Ausdruck der Kraft im Gefäße der Menschheit
ist, in sich oder im andern fühlet. Nur die
Bedeutung innerer Vollkommenheit ist Schön-
heit.

Um


Vierter Abſchnitt.


Die Abſicht des Vorigen iſt wohl weder Lob-
rede der Schoͤnheit, noch Beſchreibung
der Antike, am wenigſten Phyſiognomik
geweſen, da ich weder Kuͤnſtler, noch Antiquar
noch Phyſiognom bin, und allgemeine unbe-
ſtimmte Ausdruͤcke zu keinem von dreien etwas be-
tragen. Der ſimple Satz war meine Abſicht:
daß jede Form der Erhabenheit und Schoͤn-
„heit am menſchlichen Koͤrper eigentlich nur
„Form der Geſundheit, des Lebens, der
„Kraft, des Wohlſeyns in jedem Gliede die-
„ſes kunſtvollen Geſchoͤpfes,
ſo wie hingegen
„Alles Haͤßliche nur Kruͤppel, Druck des Gei-
„ſtes, unvollkommene Form zu ihrem Endzweck
„ſei und bleibe„. Die Wohlgeſtalt des Men-
ſchen iſt alſo kein Abſtraktum aus den Wolken, kei-
ne Kompoſition gelehrter Regeln oder willkuͤhr-
licher Einverſtaͤndniſſe; ſie kann von jedem erfaßt
und gefuͤhlt werden, der, was Form des Lebens,
Ausdruck der Kraft im Gefaͤße der Menſchheit
iſt, in ſich oder im andern fuͤhlet. Nur die
Bedeutung innerer Vollkommenheit iſt Schoͤn-
heit.

Um
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[90/0093] Vierter Abſchnitt. Die Abſicht des Vorigen iſt wohl weder Lob- rede der Schoͤnheit, noch Beſchreibung der Antike, am wenigſten Phyſiognomik geweſen, da ich weder Kuͤnſtler, noch Antiquar noch Phyſiognom bin, und allgemeine unbe- ſtimmte Ausdruͤcke zu keinem von dreien etwas be- tragen. Der ſimple Satz war meine Abſicht: „daß jede Form der Erhabenheit und Schoͤn- „heit am menſchlichen Koͤrper eigentlich nur „Form der Geſundheit, des Lebens, der „Kraft, des Wohlſeyns in jedem Gliede die- „ſes kunſtvollen Geſchoͤpfes, ſo wie hingegen „Alles Haͤßliche nur Kruͤppel, Druck des Gei- „ſtes, unvollkommene Form zu ihrem Endzweck „ſei und bleibe„. Die Wohlgeſtalt des Men- ſchen iſt alſo kein Abſtraktum aus den Wolken, kei- ne Kompoſition gelehrter Regeln oder willkuͤhr- licher Einverſtaͤndniſſe; ſie kann von jedem erfaßt und gefuͤhlt werden, der, was Form des Lebens, Ausdruck der Kraft im Gefaͤße der Menſchheit iſt, in ſich oder im andern fuͤhlet. Nur die Bedeutung innerer Vollkommenheit iſt Schoͤn- heit. Um

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/93>, abgerufen am 25.04.2024.