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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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stützte er sich auf die Irradiation, welche er für rein subjectiv
nahm, und auf die Contrasterscheinungen. Eine Erklärung der
letzteren war damit auch nicht gegeben, sondern nur eine bild-
liche Umschreibung und Zusammenstellung der Thatsachen.

Ich verkenne nicht das Verdienst Plateau's, erkannt zu
haben, daß Schwarz und Weiß auf physiologischen Gegensätzen
und nicht blos auf graduellen Verschiedenheiten desselben phy-
siologischen Processes beruhen; auch stimme ich ihm, wie die
folgenden Mittheilungen zeigen werden, darin bei, daß comple-
mentäre Farben physiologische Gegensätze sind. Wer aber letz-
teres annehmen will, darf consequenterweise nicht annehmen,
daß complementäre Farben sich zu Weiß oder Schwarz ergänzen,
und noch weniger, daß dieselben complementären Farben zu-
sammen bald Weiß und bald Schwarz geben.

Im jedem Irrthum liegt etwas Wahres, und so enthält auch
die Plateau'sche Oscillationstheorie ebenso wie die Ermüdungs-
theorie selbstverständlich viel Richtiges. Gerade auf diejenigen
Thatsachen, welche Helmholtz gar nicht zu erklären vermag
und deshalb nur psychologisch umschreibt, stützt sich die Theorie
Plateau's. Daß sich die Vorzüge beider Theorien bei gleich-
zeitiger Vermeidung ihrer Fehler in einer umfassenderen Theorie
vereinigen lassen, dafür liefert, wie ich meine, die hier aus neuen
Gesichtspunkten entwickelte Theorie den Beweis.

§. 37.
Schlußbemerkungen.

Ich bin weit entfernt zu glauben, daß die hier entwickelte
Theorie endgiltig richtig ist, doch meine ich, daß sie der Wahr-
heit wesentlich näher kommt, als die jetzt übliche. Im Einzelnen
wird manches noch zu verbessern sein, und der Grundgedanke
der ganzen Theorie wird später, auch wenn er richtig ist, den
weiteren Fortschritten der Chemie und Physik entsprechend an-
ders ausgedrückt werden müssen. Ferner wird gerade mein Be-
streben, an die jetzt geltenden Sätze der allgemeinen Nerven-
physiologie möglichst anzuknüpfen, es später bedingen, daß die
fortschreitende Erkenntniß des Wesens der Nerventhätigkeit auch
diese Theorie modificiren wird.

stützte er sich auf die Irradiation, welche er für rein subjectiv
nahm, und auf die Contrasterscheinungen. Eine Erklärung der
letzteren war damit auch nicht gegeben, sondern nur eine bild-
liche Umschreibung und Zusammenstellung der Thatsachen.

Ich verkenne nicht das Verdienst Plateau’s, erkannt zu
haben, daß Schwarz und Weiß auf physiologischen Gegensätzen
und nicht blos auf graduellen Verschiedenheiten desselben phy-
siologischen Processes beruhen; auch stimme ich ihm, wie die
folgenden Mittheilungen zeigen werden, darin bei, daß comple-
mentäre Farben physiologische Gegensätze sind. Wer aber letz-
teres annehmen will, darf consequenterweise nicht annehmen,
daß complementäre Farben sich zu Weiß oder Schwarz ergänzen,
und noch weniger, daß dieselben complementären Farben zu-
sammen bald Weiß und bald Schwarz geben.

Im jedem Irrthum liegt etwas Wahres, und so enthält auch
die Plateau’sche Oscillationstheorie ebenso wie die Ermüdungs-
theorie selbstverständlich viel Richtiges. Gerade auf diejenigen
Thatsachen, welche Helmholtz gar nicht zu erklären vermag
und deshalb nur psychologisch umschreibt, stützt sich die Theorie
Plateau’s. Daß sich die Vorzüge beider Theorien bei gleich-
zeitiger Vermeidung ihrer Fehler in einer umfassenderen Theorie
vereinigen lassen, dafür liefert, wie ich meine, die hier aus neuen
Gesichtspunkten entwickelte Theorie den Beweis.

§. 37.
Schlußbemerkungen.

Ich bin weit entfernt zu glauben, daß die hier entwickelte
Theorie endgiltig richtig ist, doch meine ich, daß sie der Wahr-
heit wesentlich näher kommt, als die jetzt übliche. Im Einzelnen
wird manches noch zu verbessern sein, und der Grundgedanke
der ganzen Theorie wird später, auch wenn er richtig ist, den
weiteren Fortschritten der Chemie und Physik entsprechend an-
ders ausgedrückt werden müssen. Ferner wird gerade mein Be-
streben, an die jetzt geltenden Sätze der allgemeinen Nerven-
physiologie möglichst anzuknüpfen, es später bedingen, daß die
fortschreitende Erkenntniß des Wesens der Nerventhätigkeit auch
diese Theorie modificiren wird.

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[105/0113] stützte er sich auf die Irradiation, welche er für rein subjectiv nahm, und auf die Contrasterscheinungen. Eine Erklärung der letzteren war damit auch nicht gegeben, sondern nur eine bild- liche Umschreibung und Zusammenstellung der Thatsachen. Ich verkenne nicht das Verdienst Plateau’s, erkannt zu haben, daß Schwarz und Weiß auf physiologischen Gegensätzen und nicht blos auf graduellen Verschiedenheiten desselben phy- siologischen Processes beruhen; auch stimme ich ihm, wie die folgenden Mittheilungen zeigen werden, darin bei, daß comple- mentäre Farben physiologische Gegensätze sind. Wer aber letz- teres annehmen will, darf consequenterweise nicht annehmen, daß complementäre Farben sich zu Weiß oder Schwarz ergänzen, und noch weniger, daß dieselben complementären Farben zu- sammen bald Weiß und bald Schwarz geben. Im jedem Irrthum liegt etwas Wahres, und so enthält auch die Plateau’sche Oscillationstheorie ebenso wie die Ermüdungs- theorie selbstverständlich viel Richtiges. Gerade auf diejenigen Thatsachen, welche Helmholtz gar nicht zu erklären vermag und deshalb nur psychologisch umschreibt, stützt sich die Theorie Plateau’s. Daß sich die Vorzüge beider Theorien bei gleich- zeitiger Vermeidung ihrer Fehler in einer umfassenderen Theorie vereinigen lassen, dafür liefert, wie ich meine, die hier aus neuen Gesichtspunkten entwickelte Theorie den Beweis. §. 37. Schlußbemerkungen. Ich bin weit entfernt zu glauben, daß die hier entwickelte Theorie endgiltig richtig ist, doch meine ich, daß sie der Wahr- heit wesentlich näher kommt, als die jetzt übliche. Im Einzelnen wird manches noch zu verbessern sein, und der Grundgedanke der ganzen Theorie wird später, auch wenn er richtig ist, den weiteren Fortschritten der Chemie und Physik entsprechend an- ders ausgedrückt werden müssen. Ferner wird gerade mein Be- streben, an die jetzt geltenden Sätze der allgemeinen Nerven- physiologie möglichst anzuknüpfen, es später bedingen, daß die fortschreitende Erkenntniß des Wesens der Nerventhätigkeit auch diese Theorie modificiren wird.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/113>, abgerufen am 19.03.2024.