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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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und Schwarz enthalten ist, wenn es auch an keine Farbe deutlich erinnert
und ich eben nur jene beiden einfachen Empfindungen herausfinden kann.
Gesetzten Falls, die vier andern einfachen Gesichtsempfindungen, d. h. die
vier Grundfarben wären mit darin enthalten, aber äußerst schwach, und
wären daher gleichsam unter der Schwelle, so würde ich sie doch nicht
herausempfinden können. In der That macht mir reines Grau den Eindruck
einer gewissen Farbigkeit, obwohl ich neben dem Schwarz nnd Weiß keine
einzige Farbe deutlich darin zu bemerken vermag.

Auf solche möglicherweise vorhandene, aber unter der Schwelle be-
findliche Beimischungen ist im Obigen nicht Rücksicht genommen.

Eine Kritik dessen, was man jetzt unter Lichtstärke (Helmholtz)
oder Intensität (Aubert), Sättigung (Helmholtz) und Nuance
(Aubert) einer Farbe versteht, werde ich später ausführlich geben und die
Widersprüche aufdecken, in welche man dadurch gerathen ist, daß man
immer wieder die Empfindung mit ihren physikalischen Ursachen ver-
mengte.

§. 40.
Von der Helligkeit und Dunkelheit der farbigen
Empfindungen
.

Jede wirklich vorkommende farbige Empfindung, sei sie nun
durch homogenes Licht oder durch Pigmente oder sonstwie ent-
standen, hat etwas Schwärzliches und Weißliches in sich und
erscheint deshalb dem Schwarz und Weiß verwandt, bald mehr
dem einen, bald mehr dem andern, bald beiden gleichviel. Diese
beiden Empfindungen sind eben jeder Farbenempfindung beige-
mischt, wenn auch in sehr verschiedenem Verhältniß.

Gäbe es absolut reine Farbenempfindungen, was nicht der
Fall ist, so würden uns diese dem reinen Weiß eben so wenig
verwandt erscheinen als dem reinen Schwarz; vom letzteren
würden sie sich ebenso lebhaft unterscheiden wie das Weiß, und
vom Weiß ebenso sehr wie das Schwarz. Dies ist eine logische
Nothwendigkeit. Denn Empfindungen, die gar nichts Gemein-
sames hätten, wären an sich incommensurabel. Zwei absolut
reine Grundempfindungen aber würden, abgesehen von ihren zeit-
lichen und räumlichen Eigenschaften, wirklich nichts Gemein-
sames haben. Dem absolut reinen Roth stände das absolut reine
Blau oder Grün ebenso unähnlich gegenüber wie das absolut
reine Weiß. Darauf, daß die absolut reinen Farben ebenso wie
das Weiß sämmtlich gar keine Spur von Schwarz enthalten
würden, liesse sich kein Verwandtschaftsverhältniß dieser ganz

Hering, Lehre vom Lichtsinne. 8

und Schwarz enthalten ist, wenn es auch an keine Farbe deutlich erinnert
und ich eben nur jene beiden einfachen Empfindungen herausfinden kann.
Gesetzten Falls, die vier andern einfachen Gesichtsempfindungen, d. h. die
vier Grundfarben wären mit darin enthalten, aber äußerst schwach, und
wären daher gleichsam unter der Schwelle, so würde ich sie doch nicht
herausempfinden können. In der That macht mir reines Grau den Eindruck
einer gewissen Farbigkeit, obwohl ich neben dem Schwarz nnd Weiß keine
einzige Farbe deutlich darin zu bemerken vermag.

Auf solche möglicherweise vorhandene, aber unter der Schwelle be-
findliche Beimischungen ist im Obigen nicht Rücksicht genommen.

Eine Kritik dessen, was man jetzt unter Lichtstärke (Helmholtz)
oder Intensität (Aubert), Sättigung (Helmholtz) und Nuance
(Aubert) einer Farbe versteht, werde ich später ausführlich geben und die
Widersprüche aufdecken, in welche man dadurch gerathen ist, daß man
immer wieder die Empfindung mit ihren physikalischen Ursachen ver-
mengte.

§. 40.
Von der Helligkeit und Dunkelheit der farbigen
Empfindungen
.

Jede wirklich vorkommende farbige Empfindung, sei sie nun
durch homogenes Licht oder durch Pigmente oder sonstwie ent-
standen, hat etwas Schwärzliches und Weißliches in sich und
erscheint deshalb dem Schwarz und Weiß verwandt, bald mehr
dem einen, bald mehr dem andern, bald beiden gleichviel. Diese
beiden Empfindungen sind eben jeder Farbenempfindung beige-
mischt, wenn auch in sehr verschiedenem Verhältniß.

Gäbe es absolut reine Farbenempfindungen, was nicht der
Fall ist, so würden uns diese dem reinen Weiß eben so wenig
verwandt erscheinen als dem reinen Schwarz; vom letzteren
würden sie sich ebenso lebhaft unterscheiden wie das Weiß, und
vom Weiß ebenso sehr wie das Schwarz. Dies ist eine logische
Nothwendigkeit. Denn Empfindungen, die gar nichts Gemein-
sames hätten, wären an sich incommensurabel. Zwei absolut
reine Grundempfindungen aber würden, abgesehen von ihren zeit-
lichen und räumlichen Eigenschaften, wirklich nichts Gemein-
sames haben. Dem absolut reinen Roth stände das absolut reine
Blau oder Grün ebenso unähnlich gegenüber wie das absolut
reine Weiß. Darauf, daß die absolut reinen Farben ebenso wie
das Weiß sämmtlich gar keine Spur von Schwarz enthalten
würden, liesse sich kein Verwandtschaftsverhältniß dieser ganz

Hering, Lehre vom Lichtsinne. 8
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[113/0121] und Schwarz enthalten ist, wenn es auch an keine Farbe deutlich erinnert und ich eben nur jene beiden einfachen Empfindungen herausfinden kann. Gesetzten Falls, die vier andern einfachen Gesichtsempfindungen, d. h. die vier Grundfarben wären mit darin enthalten, aber äußerst schwach, und wären daher gleichsam unter der Schwelle, so würde ich sie doch nicht herausempfinden können. In der That macht mir reines Grau den Eindruck einer gewissen Farbigkeit, obwohl ich neben dem Schwarz nnd Weiß keine einzige Farbe deutlich darin zu bemerken vermag. Auf solche möglicherweise vorhandene, aber unter der Schwelle be- findliche Beimischungen ist im Obigen nicht Rücksicht genommen. Eine Kritik dessen, was man jetzt unter Lichtstärke (Helmholtz) oder Intensität (Aubert), Sättigung (Helmholtz) und Nuance (Aubert) einer Farbe versteht, werde ich später ausführlich geben und die Widersprüche aufdecken, in welche man dadurch gerathen ist, daß man immer wieder die Empfindung mit ihren physikalischen Ursachen ver- mengte. §. 40. Von der Helligkeit und Dunkelheit der farbigen Empfindungen. Jede wirklich vorkommende farbige Empfindung, sei sie nun durch homogenes Licht oder durch Pigmente oder sonstwie ent- standen, hat etwas Schwärzliches und Weißliches in sich und erscheint deshalb dem Schwarz und Weiß verwandt, bald mehr dem einen, bald mehr dem andern, bald beiden gleichviel. Diese beiden Empfindungen sind eben jeder Farbenempfindung beige- mischt, wenn auch in sehr verschiedenem Verhältniß. Gäbe es absolut reine Farbenempfindungen, was nicht der Fall ist, so würden uns diese dem reinen Weiß eben so wenig verwandt erscheinen als dem reinen Schwarz; vom letzteren würden sie sich ebenso lebhaft unterscheiden wie das Weiß, und vom Weiß ebenso sehr wie das Schwarz. Dies ist eine logische Nothwendigkeit. Denn Empfindungen, die gar nichts Gemein- sames hätten, wären an sich incommensurabel. Zwei absolut reine Grundempfindungen aber würden, abgesehen von ihren zeit- lichen und räumlichen Eigenschaften, wirklich nichts Gemein- sames haben. Dem absolut reinen Roth stände das absolut reine Blau oder Grün ebenso unähnlich gegenüber wie das absolut reine Weiß. Darauf, daß die absolut reinen Farben ebenso wie das Weiß sämmtlich gar keine Spur von Schwarz enthalten würden, liesse sich kein Verwandtschaftsverhältniß dieser ganz Hering, Lehre vom Lichtsinne. 8

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/121>, abgerufen am 19.03.2024.